Entwässerung mit Zweitnutzeneffekt

Regen wird auf Zeitreise geschickt

Der Schieferboden in der Region Balingen besteht zu weiten Teilen aus ca. 180 Mio. Jahre altem Ölschiefer, in dem sich so manche Fossilien finden lassen. Bei der Bebauung stellt er besondere Anforderungen. Wird dieser Boden überbaut, also nicht mehr natürlich beregnet, „arbeitet“ er. Aufgabe war es, nicht nur die ca. 30.000 m2 Flachdachfläche eines Lagerneubaus zu entwässern, sondern gleichzeitig in dem Boden, auf dem die vier Hallenschiffe errichtet wurden, ein ideales Feuchtigkeitsklima/Mikroklima zu sichern.

Normalerweise ist es das Bestreben, Regenwasser schnell vom Dach und vom Gebäude abzuführen. Bei dem Lagerhallenneubau der Weinmann & Schanz GmbH, Versandgroßhandel für die Sanitär-, Heizungs- und Klimabranche, war diese Aufgabe differenzierter zu betrachten. Architekt Elmar Hotz konkretisiert die Aufgabenstellung: „Dieser Posidonien-Schiefer hat eine Besonderheit. Wenn er – sagen wir mal vereinfacht – austrocknet, dann dehnt er sich aus. Was das für die Statik bedeutet, kann man sich vorstellen. Durch die Flächenversiegelung, sprich Bebauung, wird die natürliche Beregnung in diesem Bereich unterbunden. Betrachtet man die Flächen, die wir hier mit den vier neuen Hallen und den vier Bestandsgebäuden quasi versiegeln, dann stellt sich die Frage, wie und wo soll dort noch Oberflächenwasser, Niederschlagswasser in den Boden sickern? Zentrale Frage war: Wie kriegen wir diesen ,Kameraden‘ hier unter den Bauwerken besänftigt? In diesem Landstrich gibt es sehr viele Bauschäden. Schon beim 1. Bauabschnitt vor sechs Jahren holten wir uns daher professionelle Unterstützung durch die Firma GeoTerton ins Boot. Der Dipl.-Geologe Heiner Terton präsentierte eine Problemlösung, die dann auch von anderen Bauherren in diesem Gebiet so angewandt wurde. Einen Teil des Bemessungsregens führen wir über die herkömmlichen Grundleitungen in das Regenrückhaltebecken ab. Aber einen Großteil des anfallenden Regens leiten wir über ein fächerförmiges Rohrsystem dem Schiefergrund zu, um dort das Feuchteklima/ Mikroklima zu pflegen.“

Gestein ruhig halten

„Das Wasser dient nicht zur Befeuchtung oder Bewässerung der Posidonienschiefer-Formation, wie oft fälschlicherweise angenommen, sondern zur Erzeugung einer wasserdampfgesättigten Atmosphäre unter der Bodenplatte. Die Gründungsebene wie auch das angrenzende Erdreich muss nicht feucht gehalten, sondern gegen Verdunstung geschützt werden“, erläutert der Geologe Heiner Terton. „Das im Gestein zirkulierende Wasser enthält Sulfat- und Kalziumionen. Verdunstet das Schichtwasser, reichern sich diese Ionen in der Restlösung an, um schließlich als Gipskristalle in den Schichtfugen auszufallen. Aufgrund der dünnschichtigen Beschaffenheit und der kompakten Ausbildung der einzelnen Schichtblätter können sich die Gipskristalle nicht in das Gestein ausdehnen wie bei weicheren Böden, z.B. in geringharten Tonsteinen. Der Wachstumsdruck drückt die einzelnen Schichtblätter auseinander und führt durch das Kristallwachstum zu einer Volumenzunahme und damit zu Hebungen. Aus der Literatur sind Hebungsbeträge von 30 % bekannt. 1 m Schichtpaket kann um ca. 30 cm wachsen, und das mit einem Hebungsdruck von 300 kN/m². Das bedeutet: Dieses Gestein kann im ungünstigsten Fall eine Last von 30 t anheben.“

Schichtaufbau mit „Elefantenhaut“

Knapp 1 m hoch inkl. Betonbodenplatte ist das Schichtenpaket unter den Gebäuden, das dem Diffusiveffekt vorbeugt und dem Weinmann & Schanz-Hallenkomplex eine ruhige Zukunft sichert. Unter der Perimeterdämmung erfolgt die eigentliche Abdichtung durch eine geosynthetische Tondichtungsbahn (GTB) als kombinierte Polymer-Bentonitmatte. In den darunterliegenden Kies- und Sandschichten sind die Vollsickerrohre eingebettet, die die Austrocknung des Untergrundes verhindern.

 

Kreislaufprinzip

Elmar Hotz erklärt das Funktionsprinzip: „Es regnet. Das ‚SitaDSS‘-Entwässerungssystem leitet das Regenwasser in die perforierten Vollsickerrohre, die fächerförmig unter der gesamten Bodenplatte verlegt sind.“ Planer Eric Moekotte vom Ingenieurbüro Klaus Weingärtner VDI ergänzt: „Das ist wie bei Drainagerohren, nur dass die Funktion umgekehrt verläuft. Wir nehmen unser Dachwasser und führen es wieder dem Erdreich zu, in einer Schicht, in der es sich ausbreiten kann. Die einzelnen Fallleitungen dienen als Verteilrohre, die uns helfen, den Untergrund kontrolliert zu fluten.“ 

Um die Wasserversorgung dieses ausgeklügelten Systems nicht zu gefährden, verzichtete die Stadt Balingen teilweise auf die hier eigentlich obligatorische Dachbegrünung, die eine gewisse Regenrückhaltung bewirkt, die bei dem Weinmann + Schanz Bauwerk eher kontraproduktiv wäre. So ist das Feuchteklima auch in regenärmeren Zeiten sichergestellt. 

 

Streckenplanung mit Brandschutz

Auf den weitläufigen Flächen des 28.500 m2 großen Flachdaches arbeiten Haupt- und Notentwässerung perfekt zusammen. Die aufwendige Druckentwässerung wurde von der Sita-Berechnungsabteilung erstellt und per „AutoCAD“-Datei den Objektbeteiligten zur Verfügung gestellt. Alle Gullys, sowohl die 104 „SitaDSS“ -Profi-Gullys für die Hauptentwässerung als auch die 82 Notentwässerer, „SitaDSS Profi“ mit „SitaMore“ Anstauelement, wurden in „Firesafe“-Ausführung verbaut. Bei Hallenbauten größer als 2.500 m2 greift die DIN 18234 Teil 3 und Teil 4. Nach dieser DIN ist „die Begrenzung der Brandweiterleitung in den Dachaufbau und/ oder auf die Oberfläche des Daches bei unterseitiger Brandbeanspruchung“ u.a. auch für Durchdringungen vorgeschrieben. Bei Dachgullys und Lüftern kommt hier der Brandschutz von kleinen Durchdringungen zum Tragen. Auch durch diese recht kleinen Durchdringungen können sich im Brandfall Feuer und Brandgase den Weg in den Profil- und Dachhohlraum, bzw. auf die Dachfläche ebnen. Bei Weinmann & Schanz gab es zusätzlich ein Brandschutzgutachten, das den besonderen Schutz von kleinen und großen Durchdringungen forderte. Bauherr und Planer entschieden sich für das „Firesafe“-Prinzip. Der „SitaFiresafe“, der speziell für den effektiven vorbeugenden Brandschutz von Kunststoffgullys und Systemlüftern entwickelt wurde, schützt brennbare Bauteile wie ein Safe vor Feuer. Um im Notfall einer Brandweiterleitung vorzubauen wurden nicht nur die Gullys, sondern auch die „SitaVent“- Systemlüfter für die Sanitär- und die Raumentlüftung in „SitaFiresafe“-Ausführung geliefert. 

Der feuerfeste, patentierte und zertifizierte „SitaFiresafe“ bietet eine wirtschaftliche Alternative zu Entwässerungsanlagen aus Guss und Stahl und gleichzeitig eine normgerechte Brandschutzlösung. Dazu wird in die nicht brennbare „SitaFiresafe“-Brandschutzeinheit, die überdies mit nicht brennbarem Dämmmaterial verfüllt ist, ein die Durchdringungsöffnung abdichtender Sita-Gully oder -Lüfter eingesetzt. Im Übergang zum brennbaren Rohr ist eine Brandschutzmanschette angeordnet, die sich bei einem Brand infolge der Temperaturerhöhung selbsttätig schließt. Der „SitaFiresafe“ selbst hält den Temperaturerhöhungen stand und verhindert, dass Rauch und Flammen in die Dachkonstruktion eindringen können. 

 

Sprinkler mitten drin

Durch eine geschickte Planung ist es gelungen, die Sprinklerrohre genau mittig zu den Entwässerungsrohren zu platzieren. Planer Eric Moekotte berichtet: „Ziel war es, dass die Dachentwässerungs- und Notentwässerungsleitungen keine Sprühbehinderung für die Sprinkler darstellen. In Halle 5, einem dreigeschossigen Regalbau, haben wir uns entschieden, alle Rohre auf die mittlere Regalebene zu verziehen und platzsparend parallel zu den Förderbändern zu platzieren. Stichleitungen führen nach unten in die Zwischenebene und von dort in die Sammelleitungen. So konnten wir eine Einschränkung der Mindesthöhen vermeiden und eine optimale Kopfhöhe erhalten.“ 

Strecke gemacht

Das gesamte Leitungsnetz wurde mit PE-Rohren ausgeführt. Für die Hauptentwässerung kamen allein 14.055 m Rohrleitungen in den Nennweiten DN 40 bis DN 125 zum Einsatz. In der Notentwässerung wurden 66.165 m Rohrleitungen von DN 40 bis DN 315 verarbeitet. Für die langen Strecken, die innerhalb eines Druckströmungssystems überbrückt werden müssen, eignen sich PE-Rohre vor allen Dingen wegen ihres geringen Eigengewichts. Teilweise verliefen die Rohrleitungen über Einzelstrecken von ca. 250 m. So wird die komplette Halle 7 über die Halle 8 notentwässert. Dieser Aufwand wurde betrieben, um die Fassade vor Halle 7 frei zu halten und sich räumliche Optionen für einen eventuellen zusätzlichen Neubau zu erhalten.

 

Stark bei Starkregen 

Laut Kostra DWD ist am Standort Balingen mit einem Berechnungsregen r5/5 von 371 l/s x ha und einem Jahrhundertregen r5/100 von 668 l/s x ha zu rechnen.

Eine gewisse Regenspende ist durch den Schiefergrund systembedingt gewünscht. Aber was passiert bei einem Starkregenereignis? Die Notentwässerung geht dann auf das Gelände und schadlos überflutbare Flächen, auf denen es versickern kann. Die maximale Wassermenge fällt hier vor Halle 8 an, die auch die Notentwässerung der Halle 7 übernimmt. In Zusammenarbeit mit einem Außenanlagenplaner wurde ein Konzept entwickelt, die Regenspende schadfrei vom Gebäude abzuleiten. Außenliegende Mulden, Rinnen und Rigolen weisen dem Wasser richtige Wege.

Für die Hauptentwässerung bestehen kommunale Einleitbeschränkungen. 360 l/s dürfen mit Erlaubnis der Stadt eingeleitet werden. In der Gesamtheit fallen ca. 900 l/s an. Architekt Elmar Hotz erklärt: „Die Differenz wird zurückgehalten, quasi zwischengepuffert in einem gesonderten Retentionsbecken, das wir unter den Parkplätzen erstellt haben.“

 

Systemgarantie inklusive

Innerhalb des „SitaDSS“-Druckströmungssystems sind alle Bauteile aufeinander abgestimmt und für die Regenentwässerung mit vollgefüllten Rohren (Druckentwässerung) geeignet. Eine wichtige Aufgabe übernehmen hier die Schellen und Schienen, die die druckbeaufschlagten Entwässerungsrohre, die zum Aufschaukeln neigen, wenn das Wasser ins System schießt, ruhig und unter Kontrolle halten. Bei fachgerechter Montage des Systems unter Berücksichtigung der Herstellerrichtlinie garantiert Sita ein nach DIN EN 12056-3, DIN 1986-100 und VDI 3806 funktionsgerechtes Druckentwässerungssystem. Dieses Garantieversprechen ist eine große Beruhigung für alle am Bau Beteiligten und natürlich auch für den Bauherrn. 

 

Fazit

Dieses Projekt ist ein besonderes, weil es galt, nicht nur zu entwässern, sondern auch zu bewässern. Effektive Flachdachentwässerung wurde hier mit einem Zusatznutzen verbunden. Indem wir einen Teil des Bemessungsregens dem Schiefergrund zuleiten, bauen wir der diffusiven Austrocknung des Untergrundes vor, die in der Region Balingen bereits zu vielen Gebäudeschäden geführt hat. So schützt das Sita-Druckentwässerungssystem quasi von oben – also dem Flachdach – bis ganz unten in die Gründung, also die Gesteinsschichten unterhalb des Hallenkomplexes.

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