Bedenkenanmeldung bei fachkundigem Bauherrn
Das aktuelle BaurechtsurteilBeruht der Mangel eines Bauwerks auf einer für den Auftragnehmer erkennbar mangelhaften Planung oder Ausschreibung, muss der Auftragnehmer Bedenken anmelden, um von seiner Gewährleistungsverpflichtung frei zu werden. Was ist aber, wenn dem Auftraggeber die Funktionseinschränkung der vereinbarten Ausführung des Werks bekannt ist und er sich eigenverantwortlich für diese Ausführung entschieden hat? Mit dieser Frage hatte sich das Oberlandesgericht Stuttgart in seinem Urteil vom 17.12.2024 (Az.: 10 U 23/24) zu beschäftigen.
Sachverhalt
Dr. Michael Kunzmann LL.M., RA und Fachanwalt für Versicherungsrecht.
Bild: medlay, Jörg Kersten
Die Klägerin beauftragte die Beklagte als Generalunternehmerin mit der Errichtung eines Geschäftsgebäudes. Der zwischen den Parteien geschlossene Vertrag beinhaltet eine Regelung dahingehend, dass die Beklagte Planungsdefizite der Ausführungsplanung gegebenenfalls unter Hinzuziehung von Fachplanern zu korrigieren habe. Die Beklagte führte die Fassadenentwässerung anhand der Planung des ebenfalls verklagten Ingenieurbüros aus, das auch von der Klägerin beauftragt worden ist. In der Baugenehmigung waren nicht brennbare Stoffe vorgesehen. Die Planung des Ingenieurbüros sah hingegen (lediglich) schwer entflammbare Kunststoffe vor. Die Beklagte meldete keine Bedenken an. Nach der Abnahme des Objekts kam es zu einem Brand in den (lediglich schwer entflammbaren) Kunststoffrohren. Die Klägerin machte Schadenersatzansprüche gegenüber der Beklagten geltend. Die Beklagte lehnte diese ab.
Mit Urteil vom 29.12.2023 (Az.: 29 O 100/19) hat das Landgericht Stuttgart die Beklagte und die weitere Beklagte (Ingenieurbüro) gesamtschuldnerisch zur Zahlung von 1/3 des Schadens verurteilt. Das Ingenieurbüro ist ferner zur Zahlung der weiteren 2/3 verurteilt worden.
Entscheidung
Das Oberlandesgericht hat die Beklagte sogar zur Erstattung des hälftigen Schadens verurteilt. Das Argument, die Klägerin sei selbst sachkundig und von Planungsbüros beraten gewesen, hat der Senat nicht gelten lassen. Vielmehr hätte die Beklagte bei der Überprüfung der Planung erkennen können und müssen, dass diese von der Baugenehmigung abweicht. Nur weil der Auftraggeber (Bauherr) selbst über eigene Fachkunde verfüge oder von Ingenieuren beraten sei, führe dies nicht dazu, dass die Prüf- oder Hinweispflichten des Auftragsnehmers entfielen.
Eine Enthaftung des Auftragnehmers käme nur dann in Betracht, wenn der Auftragnehmer berechtigterweise auf die größere Fachkenntnis des Auftraggebers vertrauen dürfe und er sich hätte sicher sein können, dass der fachkundige Auftraggeber die Mangelhaftigkeit des Werks gemäß der Planung/Ausschreibung erkannt und bewusst in Kauf genommen habe. Diese setze voraus, dass der Auftragnehmer verlässlich davon ausgehen dürfe, dass dem Auftraggeber bzw. dessen (Fach-)Planer trotz deren Fachkunde kein Fehler unterlaufen wäre.
Praxishinweis
Das Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart zeigt einmal mehr die Bedeutung der Bedenkenanmeldung. Eine Bedenkenanmeldung sollte – auch bei Zweifeln – in jedem Falle erfolgen. Im Übrigen gilt, dass diese sicherheitshalber zumindest aus Dokumentationszwecken schriftlich erfolgen sollte. Auch genügt es im Streitfall nicht, diese gegenüber dem Planer oder Bauüberwacher zu erklären. Eine Bedenkenanmeldung muss im Zweifel gegenüber dem Bauherrn erfolgen.
Das Oberlandesgericht Stuttgart hat in seinem Urteil auch nochmals festgehalten, dass sich ein Architekt/Ingenieur gegenüber dem Schadenersatzverlangen seines Auftraggebers nicht auf einen Abzug „Neu für Alt“ berufen könne, wenn der Auftraggeber sich seit der Abnahme des Werks des bauausführenden Auftragnehmers mit einem nicht funktionstüchtigen Werk begnügen musste. Fazit: Eine Bedenkenanmeldung sollte im Zweifel immer schriftlich gegenüber dem Auftraggeber (Bauherrn) erfolgen.
Schlünder Rechtsanwälte Partnerschaft mbB
Mit 18 Rechtsanwälten, davon sechs Fachanwälten für Bau- und Architektenrecht, berät und vertritt die Sozietät Mandanten aus verschiedenen Branchen auf allen wichtigen Rechtsgebieten bundesweit. Die Sozietät hat sich auf das Bau- und Architektenrecht spezialisiert und vertritt Architekten und Ingenieure, ausführende Unternehmen und Bauherren in allen Fragen dieses Rechtsgebiets.