Populäre Rechtsirrtümer am Bau – Teil 5

„Der Schlusszahlungseinwand ist eine tödliche Waffe“

Die VOB/B kennt die Regelung, dass der Auftragnehmer keine Nachforderungen stellen darf, wenn er eine Schlusszahlung des Auftraggebers vorbehaltlos annimmt – auch dann, wenn die Schlussrechnung zu Unrecht massiv gekürzt wurde. Nicht jedem ist diese VOB/B-Klausel bewusst, nicht immer werden in der Hektik des Betriebsalltags die Vorbehaltsfristen eingehalten. Ziemlich regelmäßig erreichen mich dann mutlose Anfragen, ob da überhaupt noch was zu machen ist. Die vielleicht überraschende Auskunft: Es ist fast immer was zu machen! Mehr dazu im folgenden Text.

Wo steht das mit dem Schlusszahlungseinwand?

Die Regelung findet sich in § 16 Absatz 3 Nr. 2-6 VOB/B. Danach schließt die vorbehaltlose Annahme einer Schlusszahlung weitere Nachforderungen aus. Man hat 24 Werktage Zeit, den Vorbehalt zu erklären und weitere 24 Werktage, um ihn ausführlich zu begründen bzw. eine prüfbare Aufstellung einzureichen. Verpasst man eine dieser Fristen, bleibt es nach der Konzeption der VOB/B bei der Schlusszahlung. Mehr Geld gibt es dann nicht.

Ein paar tückische Verschärfungen hält die VOB/B auch noch bereit. Schlusszahlung ist zum Beispiel auch ein Schreiben, mit dem weitere Zahlungen abgelehnt werden. Und nicht nur die eigentliche Schlussrechnung, sondern auch weitere unerledigte Forderungen aus dem Auftrag erledigen sich gleich mit.

 

Welche Verteidigung bietet die VOB/B selbst?

Rechenfehler, Aufmaßfehler und Übertragungsfehler müssen auch nach vorbehaltloser Annahme der Schlusszahlung noch korrigiert werden (§ 16 Absatz 3 Nr.6).

Außerdem gilt die Ausschlusswirkung nur, wenn der Auftragnehmer über die Schlusszahlung (oder die Verweigerung) schriftlich unterrichtet und zugleich auf die Ausschlusswirkung hingewiesen wird. Dieser Hinweis muss zeitlich zur Schlusszahlung passen, und er muss klar auf die Ausschlusswirkung hinweisen. Dazu reicht zum Beispiel nicht der Satz „Auf § 16 Absatz 3 Nr.2 VOB/B wird hingewiesen“.

Die Fristen laufen erst ab dem Zeitpunkt, in dem ein solches Schreiben mit ausreichendem Hinweis beim Auftragnehmer ankommt. Das muss immerhin der Auftraggeber beweisen.

 

Was kann man noch machen, wenn diese Punkte nicht weiterführen?

Aus juristischer Sicht eine Menge. Jetzt wird es allerdings ein wenig komplizierter. Zunächst einmal muss man sich vor Augen führen, dass eine solche Regelung nur in der VOB/B steht und nicht im Gesetz. Das Gesetz kennt einen solchen Ausschluss nicht.

Die VOB/B ist kein Gesetz, sondern ein Mustervertrag (allerdings einer mit einer langen Tradition). Als Mustervertrag gilt die VOB/B nicht automatisch, sondern nur dann, wenn sie vertraglich vereinbart wird. Als erstes prüft man also, ob die VOB/B überhaupt vereinbart ist. Manchmal berufen sich Auftraggeber auf die Regelungen der VOB/B, obwohl der Vertrag diese gar nicht erwähnt.

Aus dem Charakter als Vertragsmuster folgt auch, dass sich die VOB/B grundsätzlich an den Regelungen messen lassen muss, die für Allgemeine Geschäftsbedingungen gelten. Solche AGB darf man nämlich nicht mit beliebigem Inhalt versehen, sondern es gibt – vereinfacht gesagt – eine Grenze der Unfairness. Die Rechtsprechung sagt nun: Wird die gesamte VOB/B vereinbart, ohne etwas wegzunehmen oder hinzuzufügen, dann wird sie als ausgewogen akzeptiert. Ändert der Verwender aber irgendetwas – typisch sind hier Besondere und Zusätzliche Vertragsbedingungen – dann werden die VOB/B-Klausel kontrolliert wie jeder andere Mustervertrag.

Es steht fest, dass in diesem Fall die gesamte Regelung über die Schlusszahlungswirkung „kippt“, da sie einseitig den Auftrag­geber bevorzugt und für den Auftragnehmer gravierende Folgen hat wie z. B. den Verlust eines eigentlich berechtigten Zahlungsanspruchs. Die Leitentscheidung für diesen ganzen Gedankengang ist übrigens BGH, Urt. v. 22. Januar 2004, Aktenzeichen VII ZR 419/02.

In der Praxis sind solche Verträge vom Typ „VOB plus X“ sehr häufig. Und so kommt es, dass der Schlusszahlungseinwand heute nur noch sehr selten durchgreift.

Mein Vater sagt aber, das kommt sehr häufig vor.

Die Regelung war vor 30 bis 40 Jahren ungleich gefährlicher als heute. Eine große Menge Rechtsprechung aus dieser Zeit zeugt noch davon. Heute ist durch die Hinweispflicht und die oben genannte Rechtsprechung zur AGB-Kontrolle eine erhebliche Entschär­fung eingetreten.

 

Kann ich mir den Vorbehalt dann sparen?

Das empfehle ich keinem. Einmal vermeidet man Streit schon im Ansatz, wenn man – nachweisbar – rechtzeitig Vorbehalt und Begründung einreicht. Es ist außerdem gute Praxis, strittige Punkte nicht lange liegenzulassen, sondern eine Klärung anzustreben. Nicht zuletzt gibt es auch immer wieder Einzelfälle, in denen die Klausel wirksam ist.

Also sollte man immer handeln, als ob die Klausel wirksam wäre – aber wissen, dass nach einem Fehler nicht aller Tage Abend ist.

 

Fazit:

Der Schlusszahlungseinwand ist heute meist nur ein zahnloser Tiger. Ausnahmen bestätigen die Regel.

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