Die Grenzen der Bedenkenhinweispflicht
Das aktuelle BaurechtsurteilEine Haftung des Bau-/Werkunternehmers, Architekten, Ingenieurs oder Sonderfachmanns droht auch dann, wenn zwar die eigene Leistung vertragsgemäß ist, aber der Auftraggeber auf die Fehlerhaftigkeit dritter Gewerke nicht hingewiesen wird. Wie verhält sich die Rechtslage jedoch, wenn der Auftraggeber oder sein Baubetreuer die entscheidende Unregelmäßigkeit bereits kannte? Hiermit hatte sich das Oberlandesgericht Nürnberg zu befassen (Urteil vom 20.02.2024 – 6 U 2127/20, nachgehend BGH, Beschluss vom 12.02.2025 – VII ZR 56/24).
Sachverhalt
Die Klägerin machte gegenüber den Beklagten Werklohnansprüche für Dachdeckerarbeiten geltend. Dem zugrunde lag die Errichtung eines Wohngebäudes durch die Beklagten im Zeitraum 2013 bis 2015, zu dessen Abwicklung sie Firma A. GmbH mit der Baubetreuung beauftragten und dieser umfassende Vollmachten u. a. für den eigenständigen Abschluss von Werkverträgen im Namen der Beklagten erteilten.
Jochen Zilius, Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht.
Bild: medlay, Jörg Kersten
Die Beklagten beauftragten im Januar 2014 die Klägerin mit den erforderlichen Dacharbeiten, die noch im selben Jahr fertiggestellt wurden. Die Abnahme erfolgte im Januar 2015. Im März 2015 erteilte die Klägerin ihre Schlussrechnung, die beklagtenseits nur zu einem geringen Teil bezahlt wurde. Die Beklagten forderten die Klägerin vielmehr zur Mängelbeseitigung auf und erklärten später die Aufrechnung mit mangelbedingten Kostenvorschussansprüchen. Sie beanstandeten die Teilgewerke Dachgeschossaustritt, Kellergeschossaustritt, Träger einer Metallbrücke und Entwässerung der Dachampel, die allesamt entgegen den maßgeblichen Fachregeln ausgeführt worden seien. Die Klägerin wendete hiergegen ein, dass es sich durchgehend um planerische bzw. beklagtenseitige Vorgaben gehandelt habe und die Klägerin insoweit auch nicht hinweispflichtig gewesen sei.
Nachdem außergerichtlich keine Verständigung erreicht werden konnte, erhob die Klägerin eine entsprechende Zahlungsklage. Die Beklagten griffen die Werklohnforderung an und wendeten hilfsweise Mängelrechte ein. Das angerufene Landgericht erhob Beweis zur Aufklärung der beklagtenseits behaupteten Mängel, die sich im Wesentlichen bestätigten, und wies die Klage überwiegend ab. Hierzu führte das Gericht aus, dass die festgestellten Mängel zwar auf Planungsfehler aus der Sphäre der Beklagten zurückgingen, die Klägerin diese jedoch habe erkennen und dementsprechend auf Bedenken hinweisen müssen. Die Klägerin legte Rechtsmittel gegen das Urteil ein.
Entscheidung
Die Berufung hatte in den entscheidenden Punkten Erfolg! Nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts sei zwar der Werkerfolg bezüglich verschiedener Teilgewerke nicht eingetreten, wofür die Klägerin wegen ihrer verschuldensunabhängigen Erfolgshaftung einzustehen habe, es sei denn, sie könne sich insoweit erfolgreich enthaften. Eine Enthaftung setze grundsätzlich einen Bedenkenhinweis gegenüber dem Auftraggeber voraus, sodass dieser die Risiken und Folgen der avisierten Ausführung bei einem Festhalten an den bisherigen Anordnungen vollständig überblicken kann und ihm dadurch die Tragweite der Nichtbefolgung der erteilten Bedenkenhinweise deutlich wird. Dementsprechend nicht ausreichend für einen enthaftenden Bedenkenhinweis seien bloß allgemeine und vage Erläuterungen oder pauschalen Bezugnahmen auf Fachregeln. Andererseits stelle die Bedenkenhinweispflicht auch keinen Selbstzweck dar. Folgerichtig bedürfe es keiner weiteren Aufklärung des Auftraggebers, wenn diesem bereits bekannt ist, dass die Anordnung oder Vorleistung als Grundlage weiterer Arbeiten ungeeignet dafür ist, den gewünschten Werkerfolg herbeizuführen.
Vorliegend habe die Klägerin – dies entspricht der Beweisaufnahme – keinen Bedenkenhinweis erteilt. Dennoch sei ihr nach der vorstehenden Maßgabe eine Enthaftung gelungen, denn aus der Beweisaufnahme ergebe sich, dass die projektverantwortliche Mitarbeiterin der A. GmbH (Baubetreuerin) nicht nur Kenntnis von den streitentscheidenden Mängeln gehabt habe, sondern die Problematik sogar nebst Sinn und Zweck der verletzten Fachregeln intern mit den Beklagten besprochen hatte und die Beklagten bis zuletzt die ursprüngliche Ausführung wünschten, was einem Bedenkenhinweis gleichkomme. Unerheblich sei dabei, dass die zutreffenden Bedenken nicht von der Klägerin, sondern von einer dritten Partei ausgesprochen worden seien.
Auf die Hilfseinwendung der Beklagten, sie hätten etwaige Bedenkenhinweise der A. GmbH technisch nicht verstanden, komme es nach Auffassung des Oberlandesgerichts nicht an, weil sich die Beklagten letztlich auch das etwaig überlegene Wissen der A. GmbH zurechnen lassen müssten. Dies folge aus dem Umstand, dass die A. GmbH als Baubetreuerin umfassend bevollmächtigt gewesen sei und für die Beklagte sogar selbstständig Verträge habe abschließen dürfen. Nach den allgemeinen Regeln der Stellvertretung müssten sich die Beklagten deshalb an dem Wissen ihres designierten Stellvertreters messen lassen.
Anmerkungen zur Entscheidung
Diese wichtige Entscheidung beleuchtet zwei in der Gerichtspraxis oftmals nur stiefmütterlich behandelte Problemfelder: Zum einen das Entfallen von Hinweispflichten bei sog. sachkundigen Auftraggebern und zum anderen die Wissenszurechnung des Stellvertreters.
Zu den Hinweispflichten: Fällt dem Unternehmer die Fehlerhaftigkeit von Planungsvorgaben oder Vorleistungen auf, hat er zur eigenen Enthaftung auf Bedenken hinzuweisen. Dies folgt bereits aus dem schuldrechtlichen Grundsatz, den Vertragspartner möglichst vor Schäden zu bewahren (§ 241 Abs. 2 BGB). Wird diese Pflicht dadurch verletzt, dass trotz Möglichkeit etwa überhaupt kein Bedenkenhinweis erfolgte, was grundsätzlich eine erhebliche Pflichtverletzung des Unternehmers darstellt, tun sich die Gerichte schwer damit, eine Enthaftung des Unternehmers festzustellen, selbst wenn der Auftraggeber schon informiert war. Weil der Bedenkenhinweis jedoch, wie erläutert, keinen Selbstzweck erfüllt, sollte bei entsprechender Sachverhaltskonstellation auf diesen Aspekt im Prozess besonders gepocht werden.
Zur Wissenszurechnung: Diese setzt eine Stellvertretung voraus, was in der Baustellenpraxis eher die Ausnahme darstellen dürfte. Insbesondere wird ein Architekt oder eine Bauleitung i. d. R. kein Stellvertreter in dem Sinne sein, sodass dieser „Trick“ des quasi delegierten Bedenkenhinweises wahrscheinlich meistens nicht funktionieren wird.
Im Ergebnis bleibt es damit trotz der Entscheidung des OLG Nürnberg weiterhin obligatorisch, die erforderlichen Bedenkenhinweise in der gebotenen Ausführlichkeit rechtzeitig gegenüber dem eigenen Auftraggeber zu erteilen, dies ggf. in Kombination mit einer Behinderungsanzeige, um jegliche Risiken auszuschließen.
Schlünder Rechtsanwälte Partnerschaft mbB
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