Hauptquartier für einen Dienstleister

Markas-Gebäude mit „Luft nach unten”

Das neue Headquarter des Dienstleisters Markas in Bozen geht auf einen von ATP architekten ingenieure gewonnenen Realisierungswettbewerb (2016) zurück und wurde von ATP Innsbruck integral mit BIM geplant. Das städtebaulich bedeutsame Hochhaus zeichnet sich durch einen gut proportionierten Baukörper aus, der – ungewöhnlicherweise nach unten – „mitwachsen“ kann.

Das energieeffiziente Bürogebäude in Bozen ist über einen großzügigen Vorplatz zugänglich. Der eigentliche Bürobaukörper schwebt über einigen „Luftgeschossen“ und einer „Gartenetage”, wo es sich bei milden Südtiroler Temperaturen auch im Grünen arbeiten lässt. Voraussetzung für das stützenfreie und damit äußerst flexible Open-Office-Konzept ist die V-förmige, massive Fassadenstruktur, die in Kombination mit den zentralen technischen Erschließungstürmen das Tragwerk bildet. Der Hybrid aus Stahlbeton und eingegossener Stahlkonstruktion trägt an den Knotenpunkten das gesamte Gebäude.


                                                   

„Wir haben unsere Wurzeln in Bozen und hier wollen wir auch weiter wachsen”, sagt Christoph Kasslatter, geschäftsführender Gesellschafter von Markas. Es sei eine grandiose und vor allem nachhaltige Idee gewesen, den unteren Bereich des Büroturms vorerst als offenen Stadtraum zu belassen und die Büroflächen in die Höhe mit atemberaubender Aussicht auf Bozen zu heben, eine durchdachte und (kosten)effiziente Möglichkeit zur späteren Erweiterung – nach unten.

Lage

Am Rande der Bozner Innenstadt entstand mit dem neuen Headquarter von Markas ein städtebauliches Highlight. Was mit dem Umbau des Bozner Bahnhofs, dem Neubau einer Bank und der Errichtung zweier Wohntürme begonnen hatte, wurde mit dem Markas Tower, integral von ATP Innsbruck nach einem gewonnenen Realisierungswettbewerb (2016) geplant, fortgesetzt: Der zwölfgeschossige Büroturm ist fußläufig aus der Innenstadt erreichbar und integriert das Entwicklungsareal der ehemaligen Schlachthofgründe maßgeblich ins innerstädtische Gefüge Bozens. Als eines der höchsten Gebäude Bozens ist das Headquarter auch wegen der charakteristischen Fassadengestaltung ein Eyecatcher und für Vorbeireisende auf der Brennerautobahn weithin sichtbar.

Städtebau

Das international tätige Dienstleistungsunternehmen Markas stand vor der Herausforderung, mehr Platz für künftige Mitarbeiter zu schaffen. Durch das anhaltende Wachstum drohte das Bestandsgebäude in Bozen aus allen Nähten zu platzen. Im strengen Korsett der städtebaulichen Vorschriften mit den strikten Vorgaben des Bebauungsplans überzeugte die Entwurfsidee von ATP, die das erwartete Wachstum des Unternehmens elegant mitdachte. Für ATP war klar, dass ein weithin einsehbares Grundstück mit direkter Innenstadtanbindung, verbunden mit dem Wunsch nach städtebaulicher Eleganz, eine unkonventionelle Herangehensweise erfordern würde. In einem integralen Planungsprozess, geführt von ATP in jahrelang geübter und bewährter Manier im Zusammenspiel aus Architekten und Ingenieuren, entschied man sich für einen „Top-Down-Ansatz“, der den Bebauungsplan klug interpretiert.

„Unsere Grundidee war es, die maximal zulässige Bauhöhe von 40 Metern sowie die insgesamt mögliche Kubatur im Entwurf mitzudenken, und trotzdem noch Kubaturressourcen für spätere Erweiterungen zu ermöglichen“, erklärt Paul Ohnmacht, Head of Design bei ATP Innsbruck, das Konzept. „Hätten wir einen konventionellen Tower in dieser Höhe für die derzeit zulässige Kubatur entworfen, wäre das Ergebnis ein zu schlanker Turm mit unwirtschaftlichen Grundrissen gewesen.”

Unter „Top-Down“ ist bei diesem Projekt tatsächlich eine Planung „von oben nach unten“ zu verstehen: die Büro- und Arbeitsflächen starten in der aktuellen Ausbaustufe in etwa 20 m Höhe, im sechsten der zehn Obergeschosse, wobei eine Verdichtung nach unten zukünftig möglich ist. Derzeit finden die „Luftgeschosse“ als Raumreserve und Erholungsflächen für Mitarbeiter ihre Bestimmung.

 

Architektur und Tragwerk

Die V-förmige, massive Fassadenstruktur bildet in Kombination mit den zentralen technischen Erschließungstürmen das Tragwerk.

„Ein Hybrid aus Stahlbeton und eingegossener Stahlkonstruktion trägt an den Knotenpunkten das gesamte Gebäude. Die innenarchitektonische Flexibilität bleibt mit Trennwandanschlüssen in jeder Fensterachse gegeben, ein automatisierter Sonnenschutz sorgt für das perfekte Raumklima im Gebäudeinneren“, erklärt Architekt Stefan Köll das Tragwerk des luftigen Gebäudes.

Dies ist ein statisch durchdachter Vorteil für die offene Bürogestaltung, denn so stören keine zusätzlichen Stützen die Harmonie und Ästhetik der flexiblen Räume. Die Tragwerksplaner von ATP haben damit eine seltene und zudem herausfordernde Bauweise gewählt. Bereits in der frühen Planungsphase mussten sie ein starkes Augenmerk auf Brandschutz, Kältebrücken und statische Bewegungen legen. Schließlich kann die Bozner Außentemperatur zwischen Sommer und Winter um bis zu 50 K schwanken, während die Innentemperatur jedoch annähernd konstant zu halten ist.

Das Markas Headquarter vereint somit alle Vorteile eines Hochhauses und eines modernen Arbeitsumfelds. Der SCC-Sichtbeton ist dunkel eingefärbt und setzt die prägende Fassadenstruktur in Kontrast zu den Putzoberflächen der tragenden Erschließungskerne und der vertikalen Begrünung mit Großbäumen und Rankpflanzen. Die Stahlschalung wurde eigens für diese Struktur angefertigt – keine leichte Aufgabe – die sich jedoch sichtlich bezahlt machte.

 

Das Gebäude und seine Funktionen

Neben Parkflächen in zwei Untergeschossen und einem offenen Erdgeschoss verfügt der 40 m hohe Turm über mehrere ausgebaute Geschosse: In 14 m Höhe befindet sich ein zweigeschossiger Dachgarten, der über eine Wendeltreppe mit der Kantine verbunden ist, sowie im Anschluss nach oben vier Bürogeschosse.

 

Vorplatz – Wald und Wasserbecken als Klimaregulatoren

Von der Schlachthofstraße kommend, empfängt die Mitarbeiter beim täglichen Antritt ins Büro zunächst das offene Erdgeschoss. Grün- und Wasserflächen im Verbund mit dem großzügigen gläsernen Foyerbereich bilden den extrovertierten Eingang ins Gebäude, unter dem sich auch zwei Tiefgaragen für die Pendler verbergen. Anders, als die zentrale Lage am Rande der Innenstadt vielleicht vermuten ließe: Von hektischem und stressigem Arbeitsgetummel ist hier keine Spur. Der großzügige Vorplatz ist mit bis zu 8 m hohen Eiben und Rotföhren bewaldet. Die Bäume ragen durch die Luftgeschosse des Gebäudes empor und bilden eine Symbiose mit der Architektur.

Ein Wasserbecken wertet die Atmosphäre im und um das Gebäude zusätzlich auf und verschafft der dicht bebauten Gegend gleichzeitig Luft. Das blaue Nass unterstützt dabei aber nicht nur die Ästhetik: Als Klimaregulator dient das Wasserbecken der adiabaten Kühlung und verbessert den thermischen Komfort sowie die Luftqualität im Außenbereich. Das Prinzip beruht auf der beim Verdunsten auftretenden Abkühlung der Flüssigkeit selbst und ihrer Umgebung. Betrieben wird das System ausschließlich mit Trinkwasser.

 

Gartengeschoss –

Arbeitsplatz im Grünen

Während die Mitarbeiter von Markas ihrer Arbeit bei atemberaubender Aussicht über den Dächern Bozens nachgehen, finden sie auf ca. 14 m Höhe einen offenen, intensiv bepflanzten Grünraum – eine biologische Klimaanlage und Ruheoase – die dem Gebäude auf mehreren Ebenen eine besondere Qualität gibt. Der üppig bepflanzte Garten im 4. OG ist über eine Wendeltreppe direkt mit dem darüberliegenden Kantinen- und Cafeteriabereich verbunden. Hier lässt sich an der frischen Luft Energie für den restlichen Arbeitstag tanken. Auch für Veranstaltungen, After-Work-Drinks oder Teammeetings, ist der „hängende Garten“ letztlich ein Ort, der die Menschen zusammenbringt.

Bürogeschosse – Raumkonzept für flexibles Arbeiten

Durch die innovative Interpretation des Bebauungsplans sind auf einer Bruttogrundfläche von 986 m² Bürogrundrisse für jegliche Arbeitswelt und Typologie möglich. Dies war dem Markas-Chef, dessen Firma mehr als 9.000 Mitarbeiter beschäftigt und dabei stets den Menschen in den Mittelpunkt stellt, ein besonderes Anliegen.

„Eine große Neuerung im Markas-Tower ist das schlüssige und vor allem effiziente Raumkonzept, das genau auf die Bedürfnisse der einzelnen Abteilungen abgestimmt ist“, betont CEO Christoph Kasslatter zur Philosophie, die hinter dem Bau steht. Um allen Bedürfnissen gerecht zu werden, bezog ATP auf Wunsch des Bauherrn insbesondere die Mitarbeiter als künftige Nutzer aktiv in den Planungsprozess mit ein. In internen Arbeitsgruppen wurden gemeinsam unterschiedliche Aspekte der Gebäudenutzung entwickelt – bis hin zur Gestaltung der verschiedenen Funktionszonen der Arbeitsplätze – und die sich daraus ergebenden Anforderungen definiert.

TGA-Systeme – behaglich und energieeffizient

Heizung, Lüftung, Klima

Bei einer kleinen Tour durch die hellen Büros verspürt man vor allem eines: Behaglichkeit. Dafür sorgten die TGA-Ingenieure von ATP, die sich für die Raumtemperierung etwas Besonderes ausgedacht haben: die Kombination von zonenweise umschaltbaren Niedertemperatursystemen in Form von Heiz- und Kühldecken mit einer kontrollierten mechanischen Lüftung, die über Bodenauslässe und -konvektoren die konditionierte Luft bedarfsgerecht in die Räume einbringt. Dadurch und in Kombination mit einer Reihe weiterer Maßnahmen erfüllt das Gebäude die Kriterien des internationalen WELL-Zertifikats für Gesundheit und Wohlbefinden am Arbeitsplatz.

Besonders effizient ist die Außenluftansaugung im Bereich der intensiv bepflanzten und verschatteten Außenanlagen mit Wasserbecken, wo deutlich günstigere Luftansaugbedingungen herrschen als im Dachbereich.

Die Kombination aus weiteren Energieeffizienzmaßnahmen mit dem Einsatz einer Wärmepumpe in der Nähe einer kompakten und optimierten Dachtechnikzentrale ermöglichte die Erreichung der Klimahaus-A-Zertifizierung in Südtirol. Betrieb und Wartung der haustechnischen Anlagen werden durch CAFM (Computer-Aided Facility Management) in Verbindung mit dem digitalen Gebäudezwilling unterstützt.

 

Licht

Das spezielle Fassadenkonzept ermöglicht es, die Innenräume mit Tageslicht zu fluten. Durch die 485 Fenster werden ganze 58 % der Nutzfläche mit einem Tageslichtfaktor von über 2,0 ausgeleuchtet. Neben dem visuellen Komfort hat der hohe Anteil natürlichen Tageslichts einen zusätzlichen und wesentlichen Vorteil: Er erhöht nachweislich das Wohlbefinden und damit die Leistungsbereitschaft der Mitarbeiter.

Für die weniger sonnigen Tage stattete Bartenbach das gesamte Haus mit Tunable-White-LEDs aus, deren Lichtfarbe tageszeitabhängig dem natürlichen Lichtrhythmus angepasst wird. Auf den oberen Ebenen gibt es auch eine indirekte Nachtbeleuchtung: Die Decken werden von unten nach innen auslaufend beleuchtet, was eine leichte und transparente Außenwirkung entstehen lässt.

 

Integral geplant mit BIM

Planrolle und Minenbleistift sind bei den Architekten und Ingenieuren von ATP als potente Digitalisierungsförderer längst passé. Durch den Einsatz moderner Technologien wie Building Information Modeling war das ATP-Team in der Lage, dem Auftraggeber Markas schon in einer sehr frühen Phase tragfähige Entscheidungsgrundlagen zu liefern und das künftige Gebäude über seinen digitalen Zwilling „erlebbar“ zu machen.

„Durch die integrale Planung mit BIM eröffneten wir allen Projektbeteiligten die Möglichkeit, in Echtzeit auf sämtliche Planungsdokumente in einem gemeinsamen Datenmodell zuzugreifen – auch dem Bauherrn. Dadurch gelang es uns, die erforderliche Transparenz zu schaffen, die bei diesem unkonventionellen Projekt den gesamten Verlauf maßgeblich beschleunigte und wir die vorgegebenen Gesamtkosten einhalten konnten“, zieht Gesamtprojektleiter Hans Kotek Resümee über die gelungene Zusammenarbeit.

Info

Projektdaten

Bauherr: Markas GmbH, Bozen, Italien

Ort: Bozen, Italien

Wettbewerb: 05/2016

Baubeginn: 01/2017

Fertigstellung: 02/2019

Bruttogrundfläche: 13.260 m2

Bruttorauminhalt: 66.378 m3

Integrale Planung:

ATP architekten ingenieure, Innsbruck

Gesamtprojektleitung: Hans Kotek, Stefan Köll

Head of Design: Paul Ohnmacht

Externe Planungspartner:

KTB – Kauer Ingenieure GmbH, Bartenbach GmbH

Ausgezeichnet

Das vom Innsbrucker Standort von ATP integral mit BIM geplante Headquarter für das Dienstleistungsunternehmen Markas in Bozen wurde für seine „exzellente Architektur“ mit einer „Special Mention“ des German Design Awards 2021 ausgezeichnet.

„Dank der besonderen architektonischen Konstruktion kommen die Etagen ohne die typischen tragenden Stützen aus, was den offenen Charakter unterstreicht“, stellt der Rat für Formgebung in seiner Jurybegründung fest und ergänzt: „So entsteht ein freundlich helles, zeitgemäßes Raumgefühl, das durch die jung und frisch wirkende Möblierung wunderbar ergänzt wird.“

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