Das aktuelle Baurechtsurteil

Gericht kassiert überzogene Sicherheiten

Bauverträge enthalten regelmäßig Vereinbarungen zu Sicherheiten, häufig in Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Kommt es dabei zu einer Kumulation z. B. von Gewährleistungssicherheit und Vertragserfüllungsbürgschaft, kann dies zu einer Übersicherung des Auftraggebers und damit zur Unwirksamkeit der entsprechenden vertraglichen Regelungen führen. Um einen solchen Fall ging es beim Oberlandesgericht Celle (Beschluss 18.11.2021, 14 U 119/21).

Sachverhalt

Die Auftraggeberin hatte die Auftragnehmerin mit der Erbringung von Werkleistungen beauftragt. In dem von ihr gestellten Vertragsformular wurde geregelt, dass die Auftragnehmerin bei Vertragsschluss eine Vertragserfüllungsbürgschaft über 10 % der Auftragssumme zu stellen hatte; diese sollte zugleich für die Dauer der Gewährleistung der Sicherung der Erfüllung der Mängelansprüche diesen. An anderer Stelle des Vertragsformulars war geregelt, dass Abschlagsrechnungen nur zu 95 % bezahlt werden sollten. Während der Ausführung der Arbeiten gerieten die Parteien in Streit; die Auftraggeberin kündigte den Vertrag und hielt sich an der Vertragserfüllungsbürgschaft schadlos. Im Ergebnis ohne Erfolg. Das Gericht hielt die vertraglichen Regelungen für unwirksam.

Entscheidung

Das OLG Celle hat ausgeführt, dass eine formularmäßig vereinbarte Vertragserfüllungssicherheit in Höhe von 10 % der Auftragssumme für sich genommen grundsätzlich zulässig sei; ebenso sei die weitere Regelung, dass von Abschlagszahlungen ein 5 %iger Einbehalt vorgenommen werden könne, für sich nicht zu beanstanden. Eine unangemessene Benachteiligung der Auftragnehmerin ergebe sich aber aus der Gesamtwirkung dieser beiden, jeweils für sich genommen nicht zu beanstandenden Klauseln. Nach den von der Auftraggeberin gestellten Vertragsbestimmungen bestehen als Sicherheiten für die Auftraggeberin die 10 %ige Vertragserfüllungsbürgschaft und zusätzlich ein 5 %iger Einbehalt der Abschlagszahlungen. Dr. Ingo Schmidt, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht
Bild: medlay, Jörg Kersten

Dr. Ingo Schmidt, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht
Bild: medlay, Jörg Kersten
Damit habe die Auftraggeberin den zulässigen Sicherungseinbehalt überschritten. Denn zusätzlich zu der an sich zulässigen Vertragserfüllungs-bürgschaft werde auch ein Teil der Abschlagszahlung einbehalten. Dieser Einbehalt führe dazu, dass die von der Auftraggeberin gezahlten Abschlags-zahlungen zusätzlich zu dem Betrag der Vertragserfüllungsbürgschaft, der eine Alternativbeschaffung bei dem Ausfall der Auftragnehmerin sichern solle, regelmäßig nicht dem vollen Wert der erbrachten Leistungen entspreche, weil nach der Stellung der jeweiligen Rechnung weitergearbeitet werde. Die dadurch entstehende Gesamtbelastung durch die von der Auftragnehmerin zu stellenden Sicherheiten überschreite das Maß des Angemessenen.

Praxishinweis

Auftraggeber neigen naturgemäß dazu, für sie bestmögliche Sicherheiten zu vereinbaren. Geschieht dies in Vertragsformularen, die sie gegenüber den Auftragnehmern verwenden, sind die Grenzen des Machbaren schnell erreicht. Meist erweisen sich die Regeln dann insgesamt als unwirksam mit der Folge, dass überhaupt keine Sicherheit verlangt werden kann; es ist also nicht so, dass die Vertragsbestimmung dann mit dem gerade noch zulässigen Inhalt aufrecht erhalten bleibt. Fällt ein Auftragnehmer in die Insolvenz, bleibt dem Auftraggeber allenfalls noch, sich bei seinem Architekten oder Ingenieur schadlos zu halten, wenn dieser seinem Auftraggeber das Vertragsformular mit den unwirksamen Regeln zur Verfügung gestellt hat. Allerdings ist der Architekt oder der Fachingenieur regelmäßig zu einer rechtsberatenden Tätigkeit des Auftraggebers weder berechtigt noch verpflichtet. Dass die komplexen rechtlichen Fragen einer etwaigen Übersicherung noch zu den Grundzügen des Werkvertragsrechts gehören, die ein Architekt/Ingenieur kennen muss, kann man sicher kontrovers diskutieren.

Info

Schlünder Rechtsanwälte Partnerschaft mbB

Mit 20 Rechtsanwälten, davon sieben Fachanwälten für Bau- und Architektenrecht, berät und vertritt die Sozietät Mandanten aus verschiedenen Branchen auf allen wichtigen Rechtsgebieten bundesweit. Die Sozietät hat sich auf das Bau- und Architektenrecht spezialisiert und vertritt Architekten und Ingenieure, ausführende Unternehmen und Bauherren in allen Fragen dieses Rechtsgebiets.

www.schluender.info

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