Schrägbohrtechnik für geothermische Wärmeversorgung

Flächeneinsparung durch optimierte Erdwärmesonden-Anordnung in urbanen Gebieten

Die effiziente Nutzung geothermischer Energie in urbanen Gebieten stellt eine besondere Herausforderung dar, da klassische Bohrkonzepte oft hohe Flächenanforderungen haben. Das „GeoStar“-System des Fraunhofer IEG ermöglicht durch eine innovative Schrägbohrtechnik eine platzsparende und leistungsfähige Alternative zu konventionellen Erdwärmesonden. Durch die sternförmige Anordnung mehrerer geneigter Bohrungen von einem zentralen Punkt aus lassen sich thermische Potenziale effizient erschließen – selbst unter bestehenden Gebäuden und Infrastrukturen.

Die Transformation des Gebäudewärmesektors hin zu erneuerbaren Energien erfordert platzsparende und wirtschaftliche Lösungen, insbesondere für Bestandsquartiere mit begrenztem Raumangebot [3]. Während klassische geothermische Systeme bei Installationsarbeiten oft große oberirdische Flächen benötigen, nutzt das GeoStar-System der Fraunhofer-Einrichtung für Energieinfrastrukturen und Geotechnologien (IEG) eine optimierte Schrägbohrtechnik, die eine geothermische Nutzung auch in dichten urbanen Strukturen ermöglicht. Mehrere geneigte Erdwärmesonden werden von einem zentralen Punkt aus abgeteuft, sodass das System mit einem geringen Flächenbedarf an der Erdoberfläche ein großes Erdreichvolumen erschließen und somit hohe thermische Leistungen bereitstellen kann [2].

Seit der ersten Implementierung 2013 wurde das Konzept an zwei Standorten in Bochum umgesetzt. Das erste System, GeoStar 1, am Fraunhofer IEG-Campus umfasst 17 Bohrungen auf einem kompakten Bohrfeld von 6 mal 10 m. Das zweite System, GeoStar 2.0, an der Hochschule Bochum besteht aus 12 Bohrungen auf einem Bohrfeld mit lediglich 7 m Durchmesser. Die platzsparende Bauweise macht den GeoStar besonders für TGA-Fachplaner interessant, welche in Bestandsobjekten ohne Fernwärmeanschluss einen hohen Anteil an erneuerbaren Energien erreichen müssen, aber weder auf Pelletkessel noch auf Außenluftwärmepumpen zurückgreifen wollen oder können. Das System kann sowohl in Neubauten als auch in Bestandsquartieren eingesetzt werden und bietet eine Alternative zu klassischen vertikalen Bohrfeldern oder anderen oberflächennahen Geothermie­lösungen mit hoher Flächenanforderung.

Technische Umsetzung und hydraulische Einbindung

Das GeoStar-System verwendet eine Anordnung schräg gebohrter Erdwärmesonden, die in einer sternförmigen Konfiguration von einem zentralen Bohrpunkt aus installiert werden. Diese Geometrie ermöglicht auch unter beengten Platzverhältnissen eine effiziente thermische Nutzung des Untergrundes. Die Bohrungen in den beiden Projekten in Bochum haben eine Tiefe von bis zu 200 m und Neigungswinkel zwischen 10 und 13 Grad, wodurch sie auch Bereiche unterhalb bestehender Gebäude erschließen können.

Die verwendeten Erdwärmesonden bestehen aus PE 100-RC Rohren mit einem Durchmesser von 40 mm bzw. 32 mm. Durch den gezielten Einsatz einer hochwärmeleitfähigen Hinterfüllung mit einer Leitfähigkeit von mindestens 2,0 W/(m·K) wird die Effizienz der Wärmeübertragung zusätzlich gesteigert.

Hydraulische Integration ins Gebäudesystem

Die hydraulische Anbindung der Sonden erfolgte beim GeoStar 1 über einen einsehbaren Verteilerschacht, in dem die Vor- und Rückläufe der Sonden zusammengeführt werden und dann gesammelt zu den vier 40 kW Wärmepumpen geführt werden. Beim GeoStar 2.0 ist ein begehbarer Verteilerschacht in der Mitte des Bohrfeldes installiert. Die Positionierung des Verteilerschachtes im Zentrum des Bohrfeldes sorgt für Anbindeleitungen mit wenigen Metern Länge. Im Gegensatz zu herkömmlichen Bohrfeldern, bei denen lange horizontale Leitungen zusätzliche Druckverluste und Kosten verursachen, ergibt sich durch die Einsparung an Verbindungsleitungen ein weiterer Vorteil.

Typische Betriebswerte zeigen, dass die Vorlauftemperaturen für Heizsysteme zwischen 35 °C und 45 °C liegen, während die Rücklauftemperaturen für Kühlzwecke Werte zwischen 8 °C und 18 °C erreichen. Die Jahresarbeitszahl des GeoStar 1-Systems liegt im Durchschnitt zwischen 4,0 und 4,5 [1] – also so, wie ein ganz normales, solide arbeitenden Erdwärmesystem.

Vorteile für die technische Gebäude­ausrüstung

Der GeoStar bietet zahlreiche Vorteile für die TGA-Planung. Die platzsparende Bauweise ermöglicht eine Nutzung geothermischer Energie in städtischen Gebieten, in denen herkömmliche vertikale Bohrungen oder Flächenkollektoren nicht realisierbar wären. Da die Bohrungen von einem zentralen Punkt aus durchgeführt werden, reduziert sich zudem der Tiefbauaufwand erheblich.

Zuweilen wird die klassische Geothermie schon aufgrund des mangelnden Platzes, eines straffen Zeitplans oder sich gegenseitig behindernder Bauabläufe von vornherein ausgeschlossen. Auch hier bietet sich aus Prozesssicht ein deutlicher Vorteil – z. B. wurde der Bau des GeoStar 2.0 weitestgehend unabhängig vom eigentlichen Baufeld des Hörsaals 9 der Hochschule Bochum durchführt – zeitliche Zwänge werden gelockert und eine klare Trennung der Baustellen und damit auch der Verantwortlichkeiten wird ermöglicht. Der Lösungsraum wird dadurch nicht zu Beginn unnötig eingeschränkt.

Im Betrieb wird bisher die hohe Effizienz gemessen, die man von einer Erdwärmepumpensystem erwartet. Das System kann neben der Beheizung von Gebäuden auch zur passiven Kühlung eingesetzt werden, indem die niedrigen Untergrundtemperaturen direkt für Kühlzwecke genutzt werden. Durch eine optimale thermische Regeneration des Bodens werden langfris­tig stabile Betriebsbedingungen erreicht. Die Kombination mit anderen Energiesystemen, wie Photovoltaik-gekoppelten Wärmepumpen oder Fernwärmelösungen, ist problemlos möglich und erhöht die Systemflexibilität.

Monitoring und Betriebsergebnisse

Die GeoStar-Systeme in Bochum sind mit umfangreicher Messtechnik ausgestattet, die eine detaillierte Analyse der Betriebsdaten ermöglicht. Glasfaserkabel wurden für eine optische in situ Temperaturüberwachung verbaut, während Wärmemengenzähler die Energieflüsse erfassen. Zudem wurden die Bohrpfade durch Borehole-Devia­tion-Tracking überwacht, um den exakten Bohrverlauf nachzuvollziehen und die Schrägbohrtechnik weiter zu optimieren.

Zukunftsaussichten und smarte Steuerung

Ein entscheidender Entwicklungsschritt für den GeoStar ist die Integration in intelligente Energiesysteme. Durch eine dynamische Steuerung der Wärmepumpen basierend auf Strommarktpreisen und Netzauslastung kann der Betrieb weiter optimiert werden. Die Kombination mit Model Predictive Control-(MPC)-Systemen ermöglicht eine vorausschauende Steuerung der Wärmepumpen. Dabei werden Lastverschiebungen genutzt, um günstige Stromtarife zu nutzen und Netzbelastungen zu reduzieren. Dies ist insbesondere für Quartiere mit hohen Anteilen an erneuerbarer Energie von Bedeutung [1].

Fazit: Chancen und Herausforderungen

Schrägbohrungen sind in der oberflächennahen Geothermie bislang noch unüblich. Der GeoStar des Fraunhofer IEG ist eine technisch ausgereifte und wirtschaftlich wettbewerbsfähige Lösung für die geothermische Wärme- und Kälteversorgung in urbanen Quartieren – die geringen Mehrkosten der Bohrungen im Vergleich zu klassischen Erdwärmesonden-Systemen werden i. d. R. durch die hydraulisch optimierte Lage des Verteilerschachtes kompensiert. Besonders für Ingenieure der technischen Gebäudeausrüstung bietet das System eine Möglichkeit, geothermische Energie auch unter beengten Platzverhältnissen effizient zu nutzen. Die Integration in hybride Energiesysteme ist problemlos möglich und bietet weiteres Potenzial für eine wirtschaftliche Optimierung. Das Fraunhofer IEG bietet an, TGA-Ingenieure und Planungsbüros bei solchen Projekten von der Machbarkeit bis zur Ausführung zu begleiten.

Insgesamt stellt der GeoStar eine skalierbare Lösung dar, die sowohl für einzelne Gebäude als auch für Quartierslösungen eingesetzt werden kann – seine Hauptherausforderung ist seine noch mangelnder Marktakzeptanz sowohl bei den Anlagenplanern als auch bei den Bohrunternehmen. Durch weitere Pilotprojekte und kontinuierliche Weiterentwicklungen, insbesondere in der Steuerungstechnik, sowie Schulungen zur Schrägbohrtechnik für Bohrunternehmen wird das System künftig noch effizienter und einfacher in bestehende Planungsprozesse integrierbar sein.

Literatur

Rath, M.; Eicker, T.; Born, H.; et al.: GeoStar Systems: Advancements in Borehole Heat Exchanger Technology for the Urban Heat Transition. 37th International Conference on Efficiency, Cost, Optimization, Simulation and Environmental Impact of Energy Systems, 2024.

Fraunhofer IEG: Geothermie im Bestand: Lösungen für dichte urbane Gebiete. www.ieg.fraunhofer.de/de/presse/pressemitteilungen/2024/loesungen-heatexpo.html [12.11.2024].

Born, H.; Bracke, R.; Eicker, T.; Rath, M.: Roadmap Oberflächennahe Geothermie. Fraunhofer IEG, 2022.

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