Optimierungspotenziale bei der durchgängigen Modellentwicklung

Teil 1: BIM nach DIN EN ISO 19650, Entwicklung von Gebäudemodellen
Die Digitalisierung des Planungsprozesses soll ermöglichen, dass alle Beteiligten auf einer gemeinsamen und verbindlichen Datenbasis arbeiten können. Durch die wachsende Erfahrung in der digitalen integralen Planung sind bereits viele Arbeitsprozesse etabliert, die diesen Weg bereiten sollten. Vor allem aber in der frühen Modellentwicklung gibt es noch Herausforderungen, um die Brücke zwischen einer Bedarfsplanung und ersten Entwurfsmodellen zu schlagen. Dieser zweiteilige Artikel beschreibt, wie eine durchgängige Modellentwicklung bereits in frühen Planungsphasen gestaltet werden kann.

Häufig wird BIM als mehrdimensionale Planungsmethodik dargestellt, bei der ein 3D-Modell mit Informationen zur Terminplanung (4D), Kostensteuerung (5D), Nachhaltigkeit (6D) usw. angereichert wird. Jede neue Dimension nach der Zeitachse steht nicht für eine Dimension im physikalischen Sinne, sondern eher metaphorisch für weitere Freiheitsgrade, um die das Modell angereichert werden kann. Dies ist bemerkenswert, da der Begriff Dimension nur noch untergeordnet im eigentlichen Sinne Verwendung findet. Es kann dabei der Eindruck entstehen, dass die höheren Dimensionen im Planungsprozess nachgeschaltet sind und als „Kür“ verstanden werden können. Die Kosten sind jedoch ein essenzieller Indikator dafür, ob ein Projekt überhaupt weiterverfolgt wird. Eine fehlgesteuerte Optimierung kann zuungunsten der Betriebskosten geschehen, was sich nachteilig auf die Lebenszykluskosten und unter Umständen auf die Nachhaltigkeit des Gebäudes auswirkt. Die höheren „Dimensionen“, z. B. Kosten und Nachhaltigkeit, müssen daher bereits im frühen Planungsprozess mitbedacht werden.

In der Praxis werden solche Erwägungen – wenn überhaupt – leider oftmals nur spät angestellt. Der eigentlich gewaltige Arbeitsschritt in den frühen Leistungsphasen 1 bis 3, bei dem aus einer Bedarfsplanung ein dreidimensionales Gebäudemodell entstehen soll, bedarf in den meisten populären Darstellungen der Methode BIM keiner gesonderten Erwähnung. Mutmaßlich liegt dies daran, dass in der Regel erste dreidimensionale Modelle auf Basis von intuitiven Überlegungen der beteiligten Architekten entstehen. Die Abbildungstiefe technischer Anlagen wird dabei oftmals auf ein Mindestmaß beschränkt, da technische Erschließungsflächen im Gegensatz zu Nutz- und Verkehrsflächen keinen repräsentativen Wert haben.

BIM nach DIN EN ISO 19650

Um den Zielkonflikt zwischen architektonischen, konstruktiven und anlagentechnischen Flächen- sowie Raumbedarfen zu durchbrechen, schlägt die DIN EN ISO 19650 vor, eine sogenannte Federations- und Informationscontaineraufteilung vorzunehmen. Was bedeutet das? Nun, im Wesentlichen soll erreicht werden, dass verschiedene Aufgabenteams gleichzeitig an Teilen des Informationsmodells arbeiten können, ohne räumliche oder funktionale Inkompatibilitäten einzuführen. Der Ansatz des sogenannten „BIM nach DIN EN ISO 19650“ zielt im Wesentlichen darauf ab, die Informationssicherheit zu erhöhen und einen strukturellen Rahmen für die Zusammenarbeit zu schaffen – und das möglichst bevor die einzelnen Teams sich in detaillierte Planungsaufgaben vertiefen. Hierzu sollen räumliche Grenzen definiert werden, innerhalb derer jedes Aufgabenteam die von ihm verantworteten Systeme, Komponenten oder Bauelemente finden sollte. Die ISO 19650 unterscheidet hierbei zwischen primär-linearen und räumlich-komplexeren Strukturen. Primär-lineare Strukturen, z. B. Schächte oder Trassen, können durch einen dimensionierten Querschnitt dargestellt werden, komplexere Situationen bildet man idealerweise durch eine Ansammlung ineinandergreifender Störkörper ab. Ein angenehmer Nebeneffekt: In der Arbeitspraxis ist eine permanente Überlagerung unterschiedlicher Detail-Modelle somit hinfällig, für viele Koordinationsaufgaben reicht der Austausch leichtgewichtiger Informationsmodelle.

Der Planungsansatz, den z. B. die LINEAR-Software in frühen Phasen verfolgt, bildet diese Empfehlungen in der Disziplin „Trassenkonzept“ geeignet ab. Sie erweitert die grundlegenden Ideen um intelligente Informationscontainer für die strukturelle Abbildung nötiger Räume für unterschiedliche technische Medien und elektrische Systeme. Zum einen wird damit die Planung und Dokumentation von Trassen-Querschnitten mittels intuitiver Werkzeuge vereinfacht, zum anderen werden die gegebenen Informationen genutzt, um eine Dimensionierung der nötigen Informationscontainer zu unterstützen und den Übergang in detaillierte Entwurfsphasen zu vereinfachen. Dies ermöglicht es bereits frühzeitig, Raumbedarfe anhand leichtgewichtiger Modelle zu verabreden.

Eine Herausforderung bei der Erstellung dreidimensionaler Entwurfsmodelle ist vor allem, dass es klassische Modellierungstechniken nicht erlauben, flexibel auf Änderungen zu reagieren. Bewegt man sich auf einem Modellierungsgrad, bei dem seitens der beteiligen Gewerke bereits auf Bauteilebene konstruiert wurde, werden selbst einfachste Änderungen aufwendige Nachbearbeitungen nach sich ziehen. Im Folgenden werden wir daher einen alternativen Ansatz skizzieren, der es erlaubt, in frühen Planungsphasen gemeinschaftlich auf ein dreidimensionales Vorentwurfsmodell hinzuarbeiten, das die Basis für die weiteren Prozessschritte bildet. Die grundlegenden Prämissen sind dabei eine iterative Modellentwicklung von grob nach fein und die durchgängige Nutzung der Daten über alle Entwicklungsstufen hinweg.

Gebäudemodelle ohne CAD

Die Planung eines Gebäudes beginnt mit der Bedarfsplanung. In dieser Phase werden die Anforderungen und der Platzbedarf von Funktionsbereichen ermittelt. Des Weiteren werden die Beziehungen der Funktionsbereiche zueinander festgelegt. So wird z. B. der Empfang in der Nähe des Gebäudeeingangs oder Toiletten in der Nähe der Kantine platziert. Die sich aus den Anforderungen ergebenden Attribute der Funktionsbereiche sind unter anderem die Anzahl an Personen im Funktionsbereich, die Art und Anzahl von Sanitärzapfstellen, erste thermische Lastabschätzungen und Volumenströme zur Belüftung. In diesem Schritt ist noch nicht zwingend ein geometrisches Modell vorhanden. Eine Herausforderung im weiteren Planungsprozess besteht darin, die funktionale Struktur des Vorhabens sowohl mit einer räumlichen als auch einer technischen Struktur in Einklang zu bringen. Die ermittelten Informationen sollten hierbei möglichst maschinenlesbar in Form eines digitalen Raumbuchs dokumentiert werden. Hierbei darf man sich nicht dazu verleiten lassen, ein Raumbuch als eine Dokumentation der Daten von architektonischen Räumen zu verstehen. Insbesondere in frühen Phasen darf zugunsten einer effizienten Arbeitsweise dabei natürlich zunächst vom konkreten Raum abstrahiert und in weiter gefassten Bereichen gleichartiger Nutzung geplant werden. Beispielsweise würde man einen gesamten Bürobereich adressieren, statt einzelne nebeneinanderliegende Büroräume separat zu betrachten.

Der Weg zu drei Raumdimensionen

Auf Basis einer abgeschlossenen Bedarfsplanung kann eine erste geometrische Modellierung erfolgen. Damit auch hier nicht bereits Entscheidungen getroffen werden, die einen zu engen Korridor für Energie- und Nachhaltigkeitsziele vorgeben, wird ein Ansatz benötigt, der weitere Dimensionen schrittweise unter Abstimmung der strukturgebenden Gewerke einführt.

Die erste Dimension aus Sicht der Architektur stellen die Gebäudehöhen und Geschossigkeiten dar. Diese Freiheitsgrade werden maßgeblich durch den Bestand oder bei Neubauten durch Anforderungen der Auftraggeber, behördliche Vorgaben und die Größe des Baufensters beeinflusst. Auf Basis der Geschosskapazitäten lassen sich aus Sicht der Nutzungsprozesse bereits erste bereichsweise Aufteilungen von Funktionseinheiten vornehmen. Aus Sicht der TGA bilden diese Informationen die erste Planungsbasis für vertikale Verteilkonzepte. So können bereits anhand einfacher schematischer Betrachtungen – in Kombination mit Erfahrungswerten – Abstimmungen über die Lage und Größe von Technikzentralen sowie die vertikale Erschließung mit Versorgungsschächten erfolgen. Eine Dimensionierung solcher Raumbedarfe benötigt hier keine explizite geometrische Netzmodellierung, sondern kann rein auf Basis tabellarischer Summenbildung erfolgen.

Erst bei Hinzunahme der zweiten Raumdimension wird ein gewisser Grad der geometrischen Gestaltung nötig. Allerdings ist es auch hier ratsam, mit einer groben Betrachtung in Bereichen anzufangen, um das Datenmodell leichtgewichtig zu halten und flexibel auf Änderungen reagieren zu können. In diesem Schritt werden seitens der TGA genauere Verortungen der Technikbereiche und Versorgungsschächte vorgenommen und die Verteiltrassen werden grob von den jeweiligen Technikbereichen bis in die einzelnen Funktionsbereiche geführt. Somit wird in diesem Schritt nur festgelegt, von wo und wie die Funktionsbereiche erschlossen werden, aber noch keine explizite Leitungsführung im Funktionsbereich modelliert. Dies hat den Vorteil, dass man einfach Änderungen des Konzepts im Trassenkonzept nachführen kann, da eine Trasse in der Regel mehrere Rohrleitungen enthält und bewusst auf die detaillierte Modellierung in den Funktionsbereichen verzichtet wird. Diese beiden Punkte führen dazu, dass trotz hoher Aussagekraft die Anzahl der Objekte im Modell gering gehalten wird und somit der Bearbeitungsaufwand für das Nachführen etwaiger Änderungen klein bleibt. Auf diese Weise können auch ohne großen Aufwand unterschiedliche Varianten erstellt und miteinander verglichen werden. Bei entsprechender Organisation der Raumbuchdaten und der strukturellen Kennzeichnungsmerkmale ist auch hier eine Übertragung ans Modell und eine anschließende Summenbildung zur Ableitung der Dimensionierung möglich. Weiterhin lassen sich mittels der Kombination aus Raumbuchdaten und Trassenkonzepten erste Abschätzungen bezüglich der Materialmengen ableiten.

Die beschriebene Vorgehensweise erlaubt es, in frühen Phasen mit überschaubarem Aufwand eine hohe Aussagekraft über technische Variationen bezüglich der Lage der Technikzentralen und Versorgungswege zu generieren und gleichzeitig erforderliche Platzbedarfe hinreichend genau zu benennen.

Konflikte vermeiden und Komplexität beherrschen

Die Vorteile einer kollaborativen Planungsweise in frühen Phasen werden deutlich, wenn man sich einen exemplarischen zeitlichen Ablauf anschaut (Bild 2). Der Prozess startet mit einer Bedarfsplanung und nähert sich schrittweise einem ersten groben Konzept für die funktional-räumliche und die technisch-organisatorische Struktur. Die Zahl der Iterationen und der betrachteten Anlagenvarianten kann hierbei durchaus hoch sein, da die konzeptionellen Trassenmodelle gegenüber konventioneller dreidimensionaler Planung leichtgewichtig und flexibel formbar sind. Erst sobald die grobe strukturelle Planung abgestimmt ist, beginnen die einzelnen Gewerke mit der weiteren Detaillierung des Modellentwurfs. Auch hierfür ist ein Trassenkonzept eine gute Ausgangsbasis für spezialisierte Modellierungswerkzeuge. Bei konsequenter und durchgängiger Nutzung der Informationen im Modell ist der Wechsel in einen vorherigen oder nachgelagerten Schritt ohne großen Aufwand möglich. Zur besseren Verdeutlichung sind in Bild 2 die einzelnen Schritte mit einer kurzen Beschreibung und den vorhandenen Informationen abgebildet.

Ausblick

Im zweiten und abschließenden Teil des Artikels in der nächsten Ausgabe wird die Praxisumsetzung aufgezeigt. Dazu steht ein Bürogebäude mit Cafeteria im Fokus, das mit 50 Arbeitsplätzen ausgestattet werden soll.

Bedarfsplanung

Beschreibung

- Kein 3D-Modell vorhanden

- Ermittlung der Anforderung und des Platzbedarfs von Funktionsbereichen

- Festlegung der Beziehungen der Funktionsbereiche zueinander

Vorhandene Informationen

- Gebäudetyp

- Anzahl Personen

- Lastabschätzungen

- Art und Anzahl von Verbrauchern

Funktionskonzept

Beschreibung

- Erstellung eines Konzeptkörpers

- Verortung der Funktionsbereiche im Konzeptkörper

- Erstellung von Energie- und Anlagenkonzepten

Vorhandene Informationen

- Übertragung der Anforderungen aus den Tabellen der Bedarfsplanung an die einzelnen Funktionsbereiche

Trassenkonzept

Beschreibung

- Verortung und Platzbedarf von Technikbereichen der einzelnen Gewerke

- Festlegung der Schächte zur Versorgung der Etagen

- Festlegung der Trassen zur Versorgung der Funktionsbereiche

Vorhandene Informationen

- Technikbereiche als Quelle

- Funktionsbereiche als Verbraucher

- Trassen mit Leitungstypen

- Systemtopologie

Modellentwurf

Beschreibung

- Erstellen von Räumen

- Trassen in einzelne Rohrleitungen und Luftkanäle umwandeln

- Modellierung der Leitungsverläufe in den Funktionsbereichen/Räumen

Vorhandene Informationen

- Anforderungen der Funktionsbereiche werden an Räume übergeben

- Detaillierte Lastberechnungen

- Ergebnisse Rohr- und Luftkanalnetzberechnungen

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