Elektrotechnik in einem Holz-Hybrid-Bürogebäude

Objektbericht zum neuen Timber Pioneer in Frankfurt/Main

Das Europaviertel Frankfurt ist ein noch recht junges Stadtquartier und entsteht seit 2005 mit einer Gesamtfläche von rund 100 ha auf dem ehemaligen Gelände des Frankfurter Hauptgüterbahnhofs. Als eines der ersten fünf Stadtquartiere in Europa wurde es mit dem Nachhaltigkeitszertifikat in Platin ausgezeichnet und ist damit ein idealer Standort für Timber Pioneer, Frankfurts erstes Bürohaus in Holz-Hybrid-Bauweise. Die GA-tec Gebäude- und Anlagentechnik GmbH realisiert für dieses Vorreiterprojekt seit Februar 2022 die Elektrotechnik.

Das Gebäude hat eine Brutto-Grundfläche von 17.600 m² über 8 Etagen, von denen rund 14.100 m² als Büro-Mietfläche geplant sind. Im EG gelangt man über einen Eingang von der Europa-Allee in das Foyer zu den jeweiligen Mietbereichen. Im Erdgeschoss sind zusätzlich rund 1.500 m² Gewerbeflächen geplant. Realisiert wird das Bürogebäude, ebenso wie der benachbarte und bereits Ende 2022 fertiggestellte F.A.Z.-Tower, als gemeinsames Projekt der UBM Development und Paulus Immobiliengruppe. Der Architekt beider Gebäude ist Eike Becker Architekten aus Berlin.

Blick auf die spezielle Bauweise

Holz-Hybrid-Bauweise bedeutet, dass im Rohbau von Timber Pioneer sowohl Holz als auch Beton verbaut wurde. Neben einem Betonkern und Beton-Zwischendecken in Holz-Beton-Verbund (HBV)-Ausführung bestehen auch die Geschossdecken vom 3. UG bis ins EG sowie die Tiefgarage aus Stahlbeton. Bauteile aus Brettschichtholz bilden als Gegenstück die oberirdische Tragstruktur, was das Bürogebäude zu etwas bisher Einzigartigem in Frankfurt macht. Die Brettschichtholz-Elemente inklusive der Zwischendecken-Unterkonstruktionen wurden von der oberösterreichischen Firma Wiehag maßgefertigt und bereits im Werk mit den benötigten Verbindungsteilen versehen, sodass das einbaufertige Holz auf der Baustelle nur noch zusammengesetzt werden musste. Die Beton-Elemente für die Zwischendecken wurden von der Oberhessischen Spannbetonwerk GmbH ebenfalls einbaufertig angeliefert und vor Ort zur Herstellung eines festen HBV nur noch verschraubt und verfugt. Für die Bauzeit bedeutete der insgesamt hohe Vorfertigungsgrad eine beachtliche Ersparnis von rund 50 %, was im aktuellen Baufortschritt gut zu sehen ist. In einer Rekordzeit von nur 15 Wochen war der Rohbau vom 1. OG bis zum 8. OG bereits abgeschlossen.

Zertifizierte Nachhaltigkeit

Timber Pioneer spart mit dem Einsatz von 1.800 m3 Fichtenholz aus nachhaltiger Forstwirtschaft rund 80 % CO2 im Vergleich zu einer herkömmlichen Beton-Bauweise ein und zeigt beispielsweise mit einem umfangreichen Rohstoffrecycling-Konzept nach dem Cradle to Cradle-Prinzip, dass Neubau und Klimaschutz durchaus miteinander kompatibel sind. Auch eine intensive Begrünung des Innenhofs und eine großflächige Bepflanzung der Dachterrasse gehören zum umfangreichen Green-Building Konzept von Timber Pioneer, das die Deutsche Gesellschaft für nachhaltiges Bauen (DGNB) bereits mit dem DGNB Vorzertifikat in Gold ausgezeichnet hat.

Besonderheiten der Holz-Hybrid-Bauweise spürbar

Wer in den Rohbau eines neuen Gebäudes kommt, erwartet jede Menge Lärm, Staub und Abfall. Durch den großflächigen Einsatz der Holzelemente wird bei Timber Pioneer vieles davon gespart und bereits in der Bauphase spürt und riecht man das Fichtenholz. „Man betritt die oberen Etagen und hat gleich den Duft von Holz in der Nase. Auch die Atmosphäre ist anders – irgendwie wärmer. Aber man muss auch aufpassen: Die Oberflächen der Holz-Elemente reagieren auf Stoß- und Druckschäden empfindlicher als Beton. Da muss man oberhalb der Kellergeschosse auch mit Werkzeugen und Leitern vorsichtiger hantieren“, beschreibt Ronny Margraf, Bauleiter der GA-tec, die Besonderheiten der Baustelle.

Realisierung der Elektrotechnik in drei Phasen

Die Umsetzung der Elektrotechnik wurde in drei Phasen geplant, beginnend mit einem vorgezogenen Grundausbau, der parallel mit den abschließenden Arbeiten im benachbarten F.A.Z. Tower bereits erfolgt ist. Durch die Verantwortung für das Gewerk Elektro in beiden Gebäuden konnte GA-tec die Arbeiten in den Untergeschossen nahtlos fortführen. Der zweite Abschnitt des Grundausbaus und der darauffolgende Mieterausbau befinden sich derzeit noch in der Umsetzung und sollen bis April 2024 fertiggestellt sein. Der Mietereinzug des im Frühjahr gewonnenen Ankermieters Universal Investment ist für das zweite Quartal 2024 geplant.

Gemeinsame Trafostation mit F.A.Z. Tower

Die Energieversorgung beider Nachbargebäude erfolgt aus dem 10 kV Mittelspannungsnetz der Netzdienste Rhein-Main GmbH (NRM). Die dafür nötige Transformatorenstation im 1. UG wurde im Zuge der Bauarbeiten am F.A.Z. Tower bereits von NRM errichtet und stand zum Projektstart bereit. Zur Umwandlung der Mittelspannung in Niederspannung wurde für Timber Pioneer zusätzlich ein eigener Transformator mit 800 kVA installiert. Dieser wird mit drei weiteren Transformatoren des F.A.Z. Towers in zwei eigene, jeweils dem Gebäude zugeordneten Niederspannungs-Schaltanlagen eingespeist, die von GA-tec errichtet wurden. Im Bedarfsfall kann eine Koppelverbindung aller vier Transformatoren hergestellt werden.

Zum Anschluss der Verbraucher und der Beleuchtung in allgemeinen Bereichen werden von GA-tec derzeit rund 40 Unterverteilungen und Zähleranlagen in Betrieb genommen. Erst im dritten Projektabschnitt folgen Mieterbereichsverteiler, die während des Mieterausbaus an die vorbereiteten Zuleitungen angeschlossen werden.

Die Netzform ist ab Hauptverteilung als TN-S angelegt, was einen getrennten Schutzleiter im gesamten System erfordert. Für den Überspannungsschutz wird ein Kombi-Ableiter als Grob- und Mittelschutz beim Hausanschluss umgesetzt. Der Überspannungs-Grobschutz kommt dabei für die Hauptverteilung, der Überspannungs-Mittelschutz für die Nutzungsbereichsverteilungen zum Einsatz. Zusätzlich wird von GA-tec eine Blitzschutzanlage nach Blitzschutzklasse 3 installiert.

Für die Anbindung an die Fernmeldeleitungsnetze gibt es eine Abtrennung zwischen F.A.Z. Tower und Timber Pioneer. Jedes Gebäude hat eigene Netzwerkschränke und somit die Möglichkeit, getrennte Provider zu nutzen. Auch die Errichtung eines IT-Netzes mit Glasfaserzuleitungen zu den einzelnen Mietbereichen gehört zum Leistungsumfang.

Synergien in der Notstromversorgung

Ein Notstromaggregat wurde von GA-tec bereits mit den Bauarbeiten am F.A.Z. Tower in Betrieb genommen. Von der vorhandenen Hauptverteilung werden notstromberechtige Verbraucher in den Untergeschossen sowie die Verteilung der Sicherheitsversorgung im 8. OG eingespeist.

Die notstromberechtigten Verbraucher sind dabei nach der Muster-Richtlinie über brandschutztechnische Anforderungen (MLAR) und dem vorliegenden Brandschutzkonzept definiert. Hierzu zählen aus dem Gewerk Elektrotechnik beispielsweise die Sicherheitsbeleuchtung in allen öffentlichen Flucht- und Rettungswegen sowie eine Brandmeldeanlage.

Besonderheiten bei der Kabelverlegung

Für die Verlegung der Stromleitungen werden ausschließlich die Betonzonen des Gebäudes genutzt, wodurch die Steigtrassen-Systeme und Kabelrinnen nicht am Holz befestigt werden müssen. Die elektrischen Hauptleitungen befinden sich für die vertikale Erschließung der Stockwerke in den Steigebereichen der Treppenkerne und für die einzelnen Etagen in den jeweiligen Flurzonen. Rund 5.000 m Niederspannungsleitungen kommen so zum Einsatz und müssen nach verschiedenen Brandschutz-Vorgaben installiert werden. Kabeltrassen mit Funktionserhalt stellen mit ihrer Zertifizierung nach DIN 4102 beispielsweise sicher, dass die betroffenen elektrischen Leitungen auch im Brandfall noch eine bestimmte Zeit funktionsfähig sind und den Strom zuverlässig leiten. Innerhalb der definierten Rettungswege müssen außerdem alle Stromleitungen in Brandschutzkanälen verlegt werden. Zusätzlich muss die Stromversorgung aller sicherheitsrelevanten Anlagen gemäß KG 442 sichergestellt sein und die Leitungsverlegung nach der MLAR erfolgen.

Beleuchtung

Im gesamten Gebäude wird ausschließlich energiesparende LED-Technologie genutzt. GA-tec installiert im Rahmen der Elektrotechnik rund 30 Außenleuchten sowie die Beleuchtung in den Allgemeinbereichen mit ca. 800 Leuchten. Für die Steuerung in den Fluren und WCs werden außerdem Bewegungsmelder verbaut. Als Sicherheitsbeleuchtungsanlage dient eine rund 200 Leuchten umfassende Kombi-Lösung aus Dauerlicht für die Hinterleuchtung der Rettungszeichen-Beschilderung und Bereitschaftslicht für die Ausleuchtung der Fluchtwege und Treppenhäuser im Notfall.

Weitere elektrotechnische Installationen

Eine Vollschutz-Brandmeldeanlage mit ca. 1.200 Brandmeldern und dessen Ansteuerungen sowie dazugehörige Verkabelungen von ca. 18.000 m gehören ebenso wie die Sprachalarmierungsanlage mit ca. 1.000 Lautsprechern und rund 15.000 m ­Verkabelungen zu den Leistungen der GA-tec. Darüber hinaus wird im Rahmen der Elektrotechnik eine Behindertennotrufanlage mit 21 Sprechstellen vor den Feuerwehraufzügen und eine BOS-Funk-Anlage installiert. Für den Sonnenschutz werden im gesamten Gebäude spezielle Außenjalousien, sogenannte Raffstoren der Firma Warema, verbaut. Die ca. 1.200 dazugehörigen Antriebe werden über eine KNX-Anlage im Verbund mit der MSR-Technik gesteuert. GA-tec liefert hierfür rund 200 KNX-Aktoren inklusive deren Stromversorgung und aller Anschlüsse.

E-Mobilität mit umfangreichen Lademöglichkeiten

Im Timber Pioneer werden im Rahmen des Mieterausbaus sowohl für E-Fahrzeuge (Tiefgarage) als auch für E-Bikes (Erdgeschoss) passende Ladestationen bereitgestellt.

Zum Laden der Autos kommen 16 Wall-Boxen mit 2 x 11 kW sowie 2 Wall-Boxen mit 1 x 22 kW zum Einsatz, die jeweils an eine Strom- sowie eine Steuerleitung angeschlossen werden, sodass der Stromfluss der Anschlüsse bei Bedarf individuell regelbar ist (Lastmanagement). Die insgesamt 34 eingeplanten Ladepunkte können bei erhöhtem Bedarf nochmals verdoppelt werden, da die dafür benötigten Anschlüsse bereits in den Hauptverteilungen vorgesehen sind.

Zum Laden von Fahrrad-Akkus werden 6 spezielle Ladeschränke mit einzelnen Metall-Schließfächern in einem an den Fahrradraum grenzenden Raum in F90 Qualität aufgestellt. Darin stehen jeweils 1 - 2 Steckdosen pro Fach bereit. Weiterhin wird es Ladepunkte in offenen Regalen geben, die ohne Schließfach zugänglich sind. Zusätzlich kommen direkt im Fahrradraum spezielle Lithium-Ionen-Akku-Ladeschränke mit einer typgeprüften Feuerwiderstandsfähigkeit von 90 Min. von außen nach innen gemäß DIN EN 14470-1 sowie einer Feuerwiderstandsfähigkeit von 90 Min. von innen nach außen gemäß DIN EN 1363-1 zum Einsatz. Diese besonders geschützten Ladeschränke sind außerdem mit einem Rauchmelder zur Branderkennung und Weiterleitung des Alarms an die Gebäudeleittechnik ausgestattet. Im Außenbereich wird eine weitere Ladestation mit 4 Ladepunkten installiert, sodass nach Fertigstellung insgesamt 121 Anschlussmöglichkeiten für das Laden von E-Bike-Akkus bereitstehen, was etwa 50 % aller Fahrradabstellplätze entspricht, die nach Bauantrag gefordert sind.

Nachhaltige Bauprojekte sind ein langfristiger Trend

„Ich bin persönlich davon überzeugt, dass Holz als nachwachsender und emissionsbindender Baustoff sowie großflächige Begrünungskonzepte die urbanen Räume weiter erobern werden. Es ist unerlässlich, dass der Gebäudesektor in den kommenden Jahren nachhaltiger und letzten Endes auch klimaneutral wird. Neben energetischen Aspekten der TGA-Installationen sind dabei auch die Baustoffe und deren Rohstoff-Kreislauf ein wichtiger Faktor“, resümiert GA-tec Geschäftsführer Bernhard Dürheimer.

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