Nachhaltige Energie für „Marina Tower“  

Geothermie-Lösung heizt und kühlt Gebäudekomplex in Wien

Unmittelbar am Handelskai in der Wiener Leopoldstadt ist ein in mehrfacher Hinsicht einzigartiges Wohnobjekt fertiggestellt worden. Die 41 Stockwerke des „Marina Tower“ mit rund 500 Wohneinheiten im gehobenen Lifestyle-Segment prägen die Skyline der Metropole zukünftig mit. Zum umwelt- und klimagerechten Gebäudekonzept gehört auch eine nachhaltigkeitsfokussierte Energieversorgung auf Grundlage oberflächennaher Geothermienutzung. Das thermische Verhalten des Objektes wurde mit einer dynamischen Gebäudesimulation ermittelt.

Seit Februar 2022 ist es fertiggestellt, das neue Flaggschiff der Wiener Quartiersentwicklung und gemeinsames Projekt der BUWOG und IES Immobilien. 138 m ragt der höhere der beiden Türme in den Himmel und bringt neben exklusiven Wohneinheiten mit Größen zwischen 45 m2 und 295 m2 auch die passende Lebens-, Arbeits- und Freizeitperipherie mit – Shopping- und Sportangebote etwa, ebenso wie eine Kindertagesstätte und Gastronomie.

Dass in dem repräsentativen Gebäudekomplex weit mehr steckt als ein gelungenes Beispiel für vertikale innerstädtische Verdichtung, ließ sich schon während der ersten Entstehungsphase ab 2019 erkennen. Lange vor Bauabschluss und Bezugsreife erhielt das Wiener Wohnturm-Projekt seine ersten bedeutenden Nachhaltigkeits-Auszeichnungen, darunter das Zertifikat in Gold der Österreichischen Gesellschaft für Nachhaltige Immobilienwirtschaft (ÖGNI) sowie das klimaaktiv Gold Zertifikat des österreichischen Bundeministeriums für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK). Beide Zertifizierungen bestätigen die hohen Standards besonders nachhaltiger Objekte in verschiedenen Kategorien; darunter fällt neben weiteren ökologischen, ökonomischen und soziokulturellen Kriterien auch die technische Qualität der energetischen Versorgung.

Die für das Projekt gewählte Energie-Lösung entstand im Vorarlberger Örtchen Röthis, dem Firmensitz der seit vielen Jahren international agierenden Enercret Installationen GmbH. Das gemeinsam mit dem Schwesterunternehmen Enerplan entworfene Konzept auf Grundlage oberflächennaher Geothermienutzung ist beispielhaft für einen modernen, klimaneutralen Städtebau der Zukunft.

Virtuell geplant und optimiert mit dynamischer Gebäudesimulation

Enercret Installationen bietet bedarfspräzisierte Geothermie-Systeme als sogenannte One-Stop-Shop-Solutions an und organisiert sämtliche Koordinationsvorgänge zentral nach dem „Alles-aus-einer-Hand-Prinzip“. Dabei wird der gesamte Planungs-, Umsetzungs- und Betriebsprozess eines Bauprojekts berücksichtigt. Dieser beginnt bei jedem Auftrag mit der Ermittlung der individuellen energetischen Anforderungen eines Objekts und der Bedarfslage seiner Nutzer. Dem schließt sich die Frage an, wie sich die antizipierte spätere Wärme- und Kältelast auf ökologisch effiziente und ökonomisch solide Weise decken lässt. Detaillierte, quantifizierbare Antworten darauf liefert ein computergestütztes, mathematisch basiertes Planungsverfahren: die dynamische Gebäudesimulation.

Die dynamische Gebäudesimulation ermöglicht differenzierte, realistische Vorhersagen zum thermischen Verhalten eines Objekts und seines tatsächlichen Energiebedarfs über das ganze Jahr hinweg. Das Modellverfahren bildet dabei Temperaturen und Energieflüsse zeitlich hochaufgelöst ab, sodass die thermischen Lasten des Gebäudes stündlich genau ermittelt werden können. Den Berechnungen wird dafür ein Klimadatensatz zugrunde gelegt, der neben der variablen Raumklimaregulierung eine Vielzahl weiterer interner und externer Temperatur-Einflüsse beinhaltet, etwa die Einwirkung von Sonneneinstrahlung und Verschattungssystemen oder auch innere Lasten, die durch Personenanwesenheit, PC-Betrieb, Beleuchtungen u.a. verursacht werden.

Die Planer der beiden Unternehmen nutzen das digitale Simulationsverfahren, um die Wechselwirkungen zwischen Gebäude und Anlagenverhalten exakt bestimmen zu können, etwaige Schwachstellen zu detektieren und so die Auslegung und Funktionalität des später installierten Geothermie-Systems bereits im Vorfeld zu optimieren. Ein Vorgang mit bemerkenswerter Effektivität, wie die Planer feststellten: „Für den zweiteiligen Komplex „Marina Tower“ mit seinen beiden Türmen (High Rise und Low Rise) und einer Gesamtnutzungsfläche von 46.500 m2 ermittelte die dynamische Gebäudesimulation ein Einsparpotential in der Heizlast von 15 %. Die daraus resultierenden Kosten- und Umweltentlastungen sind enorm.“

Thermische Aktivierung von Geostrukturen

Als Final-Konzept für die zukünftige Wärme- und Kälteversorgung des Gebäudekomplexes wählten die Entwickler ein Verfahren, das auf der thermischen Aktivierung vorhandener Geostrukturen – der Gründungsbauten und der Bodenplatte – beruht. Der alternative Geothermie-Einsatz mittels Schlitzwand-Massivabsorbern und Flächenabsorbern erwies sich als konstruktionsseitige Ideal-Lösung: Sie ermöglichte eine exakt abgestimmte, zeiteffiziente Hand-in-Hand-Arbeit mit sämtlichen Gewerken aus dem Spezialtiefbau und Hochbau und brachte so den Baufortschritt des Projekts nach Plan voran.

Absorber und Wärmepumpentechnologie für Wärme- und Kältegewinnung

Zukünftig wird das Geothermie-System mit einer Quellenleistung von ca. 306 kW einen Großteil der benötigten Gebäudeenergie bereitstellen und die Türme mit klimafreundlicher und wirtschaftlich nachhaltiger Wärme sowie Kälte versorgen. Hierfür dienen die bei der Tieffundierung eingebrachten Schlitzwände nicht nur der Statik, sie wurden durch den Einbau von Erdwärmerohren mit Absorberleitungen auch geothermisch aktiviert. Insgesamt 86 dieser Tiefengründungselemente sind in bis zu 21 m unter Gelände verankert und lassen sich zukünftig über die gesamte Tiefe energetisch nutzen. Die Ausführung von Endlosrohrsträngen in den Schlitzwänden unterstützt dabei einen maximal effizienten Betrieb bei gleichzeitig hoher Ausfallsicherheit der insgesamt 201 hydraulischen Kreise der Geothermie-Anlage.

Parallel dazu erfolgte die thermische Aktivierung der ca. 2,2 m dicken Bodenplatte. Um die Geothermie des Erdreichs unterhalb der Gründungsebene energetisch zu erschließen, verlegten die Monteure auf 1.180 m2 Fläche des High-Rise-Gebäudes und 1.790 m2 Fläche des Low-Rise-Gebäudes Erdwärmerohre mit Flächenabsorbern auf der Planie. Von dort werden die Rohrleitungen in Richtung des nächstgelegenen Verteilerstandorts und dann zum Hauptverteiler geführt. Für die senkrechte Verlegung der Zuleitung entwickelte das Unternehmen ein Verfahren unter Einsatz einer speziellen Abdichtebene (Injektionsschaumkörper mit dauerelastischem Injektionsgel), um eine druckwasserdichte Bodenplattendurchführung zu gewährleisten. Auf diese Weise wird eine hohe Qualität der technischen Bodenplattenbearbeitung erzielt, die bei Projekten dieser Art und Größe entscheidend für den Schutz vor drückendem Wasser und für den langfristigen Erhalt der Bausubstanz ist.

In den Wärmeübertragerrohren von Schlitzwänden und Bodenplatte zirkuliert das Wasser mit Betriebstemperaturen zwischen 0 und 30 °C. Die Absorber liefern die Energie für die integrierten Wärmepumpen, die dem Übertragermedium Wärme entziehen oder Energie an dieses abgeben, um das Gebäude je nach Bedarf zu heizen oder zu kühlen. Ein zusätzlicher Fernwärmeanschluss sichert die Warmwasserversorgung. Die Heizlastspitze des Gebäudekomplexes liegt bei ca. 850 kW, die Kühllast beträgt in der Spitze 1.000 kW und wird zu 25 % durch das Geothermiesystem gedeckt.

Energietausch mit dem Untergrund: Vorzugslösung für die Wärmewende  

Das Verfahren der Erdwärmenutzung zur Bewirtschaftung energieeffizient geplanter Wohn- und Nutzobjekte zählt derzeit zu den nachhaltigsten Lösungen für die Wärmewende im Gebäudesektor. Geothermie-Systeme nutzen das Erdreich als regenerativen Speicher, der Wärme aus im Kühlungsprozess im Sommer aufnimmt oder im Winter für Heizvorgänge wieder abgibt. Dabei ist dieser unerschöpfliche Energietausch mit dem Untergrund nicht nur ressourcenschonend und emissionsarm. Ein geringer Strombedarf und die Preisstabilität beeinflussen auch den Betriebskostenhaushalt positiv. Ausgereifte Planungskonzepte und eine präzise Umsetzung können so entscheidend dazu beitragen, den klimaneutralen Gesamtgebäudebestand auf Basis von Geothermie zügig in der breiten Mitte unserer Gebäudelandschaft auszubauen.

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