Retention für Regen berechnen

Gründächer und Regenrückhaltung mit System

Vermehrte Starkregenereignisse in Kombination mit fortschreitender Flächenversiegelung – eine fatale Kombination, die die Kanalisationen zunehmend an ihre Grenzen bringt. Immer mehr Kommunen reagieren mit Einleitbeschränkungen. Sogenannte Retention bzw. Regenrückhaltung auf dem Flachdach kann Entlastung bringen. Der Beitrag beleuchtet einen aktuellen Berechnungsansatz und was es in diesem Zusammenhang zu beachten gilt.

Die Praxis sieht sich tagtäglich mit der Aufgabe konfrontiert, Dächer mit Regenrückhaltung zu planen und zu realisieren. Doch noch lässt ein offizielles, normiertes Berechnungsverfahren auf sich warten. Sita, Entwässerungsunternehmen aus Rheda-Wiedenbrück, entwickelte daher ein eigenes Berechnungsverfahren, das die Zeit bis zu DIN-basierten Regelungen überbrücken soll. Retention soll dabei ein aktueller Hoffnungsträger sein.

Man fragt sich, warum der Trend zur Regenrückhaltung auf dem Dach erst jetzt an Fahrt gewinnt. Neben der verzögerten Einleitung der Regenspenden in überlastete Kanalisationen bietet dieses Verfahren eine Vielzahl von positiven Nebeneffekten, die sich gerade in Großstädten auszahlen: Begrünte Dächer nehmen CO2 auf, vermindern die Feinstaubbildung und senken die Lufttemperatur. Ein Teil des Wassers, das sonst in die Kanalisation fließen würde, verdunstet.

Gleichgewicht von Rückhaltung und Abfluss

Generelles Ziel der Retention ist es, Regenwasser zurückzuhalten und Abflussmengen zu mindern. Aber dabei gilt es, ein Gleichgewicht von Rückhaltung und Abfluss zu kalkulieren. Falsch berechnete Rückhaltung lässt Dachbegrünungen versumpfen und belastet die Statik des Gebäudes bis zur Extremgefährdung. Bei der Erstellung eines Berechnungsverfahrens stellten sich auch die Fragen: Muss überhaupt entwässert werden, wenn Regen zurückgehalten werden soll? Könnte es sinnvoll sein, Wasser zu 100 % auf dem flachen Dach zurückzuhalten und darauf zu hoffen, dass es von der Begrünung aufgenommen wird und der Rest einfach verdunstet?

Diese Anregung wurde näher betrachtet, bei der Analyse der statistischen Regendaten bzw. -mengen am Beispiel der Stadt Steinfurt aber wieder verworfen. In den Sommermonaten könnte dieses Rechenexempel noch funktionieren, in den Herbst- und Wintermonaten aber nicht mehr: Ab Oktober 2023 stieg die die Monatssumme der Niederschlagshöhe laut Deutschem Wetterdienst (DWD) auf über 150 mm, im Dezember 2023 auf 178,8 mm. Die in diesem Zeitraum verzeichnete Regenwasser würde dazu führen, dass die Dächer ‚überlaufen‘ und versumpfen. Dies wiederum begünstigt nicht nur die Vermoosung, sondern belastet auch die Abdichtung. Mit zunehmender Wasserlast erhöhen sich die Auswirkungen auf die Statik und die Gefährdung der Dachkonstruktion, die im Extremfall zum Einsturz von Dachflächen führen kann. Zudem steigen auch die Anforderungen an die Erhöhung des Dachaufbaus, die Erhöhung der Retentionsboxen und auch die gestiegenen Anforderungen an die Abdichtung. Denn diese muss gegen drückendes Wasser verstärkt werden, was sich auch in steigenden Baukosten widerspiegelt. Aus diesen Gründen ist es nicht sinnvoll, eine hundertprozentige Regenrückhaltung auf dem Dach anzustreben.

Retentionsdach ≠ Retentionsdach

Das Ziel bei der Bemessung von Retentionsdächern ist, die Anstauhöhen und das Speichervolumen zu ermitteln, das auf dem flachen Dach zurückgehalten werden soll. Seine Wasserspeicher- und Regenrückhaltefähigkeit hängt von vielen Faktoren ab. Eines der wichtigsten ist das Porenvolumen. Eine begrünte speicherfähige Dachfläche hat ein anderes Porenvolumen, als eine bekieste. Daraus lassen sich die Druckhöhen ermitteln, um die Retentionselemente festlegen zu können und auch die Dachabläufe zu bestimmen. Letztendlich ist jedes Gründach in gewisser Weise ein Retentionsdach, nur dass bei letzterem wesentlich mehr Wasser zurückgehalten wird.

Porenvolumen und Speichervolumen

Am Beispiel des Standortes Steinfurt lässt sich aufzeigen, welche Daten relevant sind. Bei der Rechnung wird von einer Dachfläche (ADges)mit 1.000 m2 ausgegangen, die über einen umlaufenden Kiesstreifen (AKies) von 136 m2 verfügt. Kies hat ein Porenvolumen von ca. 30 %. Wichtig bei der Bemessung sind überdies Lichtkuppeln und Aufbauten (ALK), die bei der späteren Berechnung in Abzug gebracht werden müssen, da sie keine Rückhalteräume darstellen. Im aktuellen Beispiel liegen die abzüglichen Flächen bei 100 m2. Zusätzlich wurden die Retentionselemente von „BauderGREEN RWR 100“ eingeplant, die über ein Hohlraumvolumen von 95 % verfügen. Zu berücksichtigen ist zudem der Drosselabfluss (QDR), also die Einleitbeschränkung der Kommune, der hier bei 1,0 l/s liegt. Das Speichervolumen (VDR) ergibt sich aus der Subtraktion vom größten anzunehmenden Volumen aus den Regenereignissen zwischen fünf Minuten und sieben Tagen, abzüglich des Drosselabflusses. Demnach lautet die Formel zur Bemessung des Speichervolumens:

VDR = ADges * rD,100 * 1/10.000 * D * fZ x 0,06 – D * fZ * QDR * 0,06

Basis aller Berechnungen ist die Koordinierte Starkniederschlagsregionalisierung und -auswertung des DWD (KOSTRA DWD), Version 2020. In der Tabelle (s. Grafik 1) lassen sich die Regenereignisse der Dauerstufe D, also von fünf Minuten bis zu sieben Tagen, ablesen. Dort lässt sich z. B. ein 5-minütiges Jahrhundertregenereignis erkennen, das innerhalb dieser Zeitspanne 780 l Regen pro Sekunde und Hektar bringt. Ein 7-tägiges Starkregenereignis geht mit 2,6 l/(s x ha) in die Berechnung ein. Für jede Dauerstufe wird das Speichervolumen ermittelt. Der Extremwert (100a) markiert das größte anzunehmende Regenereignis.

Der Extrempunkt dieses Beispiels (s. Grafik 2 und 3) zeigt sich bei 240 Minuten. Das ist das größte zu erwartende Regenereignis mit dem größten zurückzuhaltenden Speichervolumen, das hier bei einem Wert von 60,61 m3 liegt.

Speicherfähigkeit ermitteln

Ist das Speichervolumen errechnet, gilt es, die speicherfähigen Flächen zu ermitteln. Lichtkuppelflächen und Dachaufbauten, also alle nicht speicherfähigen Flächen, müssen in Abzug gebracht werden. In diesem Beispiel ergibt sich eine Rückhaltefläche (ARetD) von 900 m2. Weiterhin müssen alle bekiesten Flächen in Abzug gebracht werden, unter denen keine Retentionselemente verbaut sind. Hier hat das Dach eine Fläche von 764 m2 mit Retentionselementen (ARE). Bei der Berechnung des Retentionsaufbaus kommt es auf das Porenvolumen (pØ) an. Alle Berechnungen hängen von ebenjenem Volumen der Installation ab. In dem Beispiel wird mit einem pRE (Porenvolumen der Retentionselemente) von 95 % gerechnet. Allerdings kann dieser Wert herstellerabhängig anders ausfallen. Bei der Kiesumrandung, auch abhängig vom eingesetzten Baustoff, wird pKies mit 30 % angesetzt. Daraus ergibt sich die Formel:

pØ = ARE * pRE/ARetD + AKies * pKies/ARetD

Werden die Werte eingesetzt, erhält man das Ergebnis von pØ = 0,85, also 85 % durchschnittliches Porenvolumen. Demnach ist es zu berücksichtigen, dass unterschiedliche Materialien mit unterschiedlichen Speicherfähigkeiten zum Einsatz kommen. Daraus lassen sich dann die Drückhöhen ermitteln (s. Grafik 4).

Die 20 Meter-Regel

Bei der Wahl der passenden Dachabläufe ist die DIN 1986-100 Pkt. 14.2.6 zu berücksichtigen. Sie schreibt vor, dass der Abstand von Ablauf zu Ablauf nicht größer als 20 m sein soll. Daraus folgt, dass pro 400 m2 ein Dachablauf bzw. Notablauf zu platzieren ist. Bei einer Fläche von 1.000 m2 müssen demnach drei Abläufe eingeplant werden. Bestückt wurde das Projektmodell mit der Drosseleinrichtung „SitaRetention Fix“. Im Rechenbeispiel darf der Drosselabfluss maximal 1,0 l/s betragen, woraus sich ergibt, dass jeder Ablauf auf 0,33 l/s bei einer Stauhöhe bzw. Wassersäule von 79 mm gedrosselt wird. Bei der Wahl des passenden Retentionsablaufs helfen Tabellen und ein Berechnungsprogramm, die projektbegleitend konsultiert werden sollten.

Bei der Notentwässerung verhält es sich ähnlich. Es gibt die Fläche sowie das Regenereignis, sodass wieder drei Abläufe erforderlich sind – hier allerdings mit einer Ablaufmenge von 1,6 l/s. Die Entwässerungsarbeit bei 11 mm Druckhöhe am Notablauf übernehmen hier drei „SitaIndra“ Attikaabläufe mit Anstauring. Ob mit Speier oder mit Fallrohr ausgestattet – wichtig ist immer, dass die Notentwässerung frei auf schadlos überflutbare Flächen führt. Aus den errechneten Druckhöhen lässt sich die maximale Stauhöhe auf dem Dach und damit auch die Statik ermitteln.

Resümee

Eine Lösung für belastete Kanalisationen bietet die Regenrückhaltung auf Flachdächern, die nicht nur das Kanalnetz entlasten kann, sondern auch positive Effekte wie die Reduktion von CO2 und Feinstaub sowie die Senkung der Lufttemperatur in Städten mit sich bringt. Vorgestellt wurde hier ein vereinfachtes, von Sita entwickeltes Berechnungsverfahren, welches eine gezielte Balance zwischen Rückhaltung und Abfluss auf dem Flachdach im Fokus hat. Diverse Faktoren wie Porenvolumen, Drosselabfluss und Statik müssen dabei berücksichtigt werden. Retention auf dem Flachdach ist noch eine recht junge Technik, auf die Forderungen der Zeit zu reagieren. Daher wird empfohlen, die Berechnungsservices der Hersteller nutzen, bis eine entsprechende Norm veröffentlicht ist.

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