Neue Arbeitszeitregelungen für eine neue Arbeitswirklichkeit

„Arbeitszeit im Sinne dieses Gesetzes ist die Zeit vom Beginn bis zum Ende der Arbeit ohne die Ruhepausen“, besagt § 2 des Arbeitszeitgesetzes (ArbZG). Diese Definition von Arbeitszeit hat in der neuen Arbeitswirklichkeit zahlreiche Grenzfälle hervorgebracht, über deren arbeitszeitrechtliche Bewertung Streit besteht. Ob es Dienstreisen, die Vier-Tage-Woche, mobiles Arbeiten, Vertrauensarbeitszeit oder die Rufbereitschaft sind:

  • Ist das abendliche Lesen von E-Mails auf dem heimischen Sofa Arbeitszeit?
  • Wann beginnt die gesetzlich vorgeschriebene elfstündige Ruhezeit (§ 5 ArbZG)?
  • Ist das Bereithalten für einen nächtlichen Notfalleinsatz Arbeitszeit?
  • Und wenn es einen Einsatz gab, beginnt dann die Ruhezeit erneut?
  • Wie frei ist das Gestalten der Arbeitszeit im mobilen Arbeiten?
  • Können einzelne Phasen auf den Tag und die Nacht verteilt werden?
  • Reisezeit als Arbeitszeit?

Das Bundesarbeitsgericht hatte am 17. Oktober 2018 die Möglichkeit, den Begriff der Arbeitszeit an die neue Arbeitswelt anzupassen. Es ging in dem Verfahren um die Vergütung von Reisezeiten bei Auslandsentsendungen. Aber das Bundes-arbeitsgericht hat die Gelegenheit verpasst, Licht ins Dunkel der Auslegung von § 2 Arbeitszeitgesetz zu bringen. Was war passiert?

RA Jens-Arne Meier,
Geschäftsführer des ITGA Nord e.V.
Bild: ITGA Nord e.V.

RA Jens-Arne Meier,
Geschäftsführer des ITGA Nord e.V.
Bild: ITGA Nord e.V.
Ein Mitarbeiter war nach China entsandt worden. Statt eines Direktflugs wählte er mit Zustimmung seines Arbeitgebers eine Route mit Zwischenstopp in Dubai. Die Mehr-Reisezeit wollte er als Arbeitszeit vergütet bekommen.

Das Bundesarbeitsgericht gab ihm Recht, führte aber aus, dass die zusätzlich aufgewendete Zeit keine Arbeitszeit sei, aber dennoch als solche vergütet werden muss. Ein Kunstgriff, der Rechtsunsicherheit schuf.

Mit viel medialer Präsenz hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) ein Jahr später die Arbeitszeit wieder auf die Agenda gesetzt, als er in seiner CCOO-Entscheidung vom 14. Mai 2019 forderte, dass Arbeitgeber ihren Arbeitnehmern ein objektives, verlässliches und zugängliches System zur Arbeitszeiterfassung bereitstellen müssen. Der damalige Bundesarbeitsminister Hubertus Heil kündigte eine Umsetzung an, Taten folgten jedoch nicht.

Pflicht zur Zeiterfassung, aber keine Definition

Im Jahr 2022 hat das Bundes-arbeitsgericht die Entscheidung des EuGH aufgegriffen und geurteilt, dass eine allgemeine Pflicht zur Aufzeichnung der Arbeitszeit besteht (BAG vom 13. September 2022, 1 ABR 22/21). Allerdings hat das Gericht nicht erläutert, wie Arbeitszeit definiert wird.

Der Koalitionsvertrag der aktuellen Bundesregierung brachte neuen Schwung in die ­Diskussion: Union und SPD haben darin vereinbart, die tägliche Höchstarbeitszeit zugunsten einer wöchentlichen Betrachtung zu flexibilisieren – im Einklang mit der EU-Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG. Das bedeutet, dass die bisherige Begrenzung von acht bzw. zehn Stunden pro Tag durch eine Wochenarbeitszeit von maximal 48 Stunden ersetzt werden könnte.

Leider zeichnet sich im Sozialpartnerdialog auf Bundesebene zur Gesetzesänderung bereits ab, dass die notwendigen Reformen auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zurückgestutzt werden. Dabei wünschen sich Arbeitgeber wie Arbeitnehmer endlich verlässliche Definitionen und flexible Rahmen, um rechtssicher agieren zu können und dem Markt und der Vereinbarkeit von Familie und Beruf gerecht zu werden. Diese einmalige Handlungsmöglichkeit für zukunftsgerichtete Arbeit muss genutzt werden.

Der Kommentar gibt die Meinung des Autors wieder.

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