Herstellerneutrale Kommunikation in der Gebäudeautomation
BACtwin als technologieübergreifende Dialog-LösungDas Gebäudeenergiegesetz (GEG) vom 16.10.2023 fordert den Einsatz von Gebäudeautomation – kurz GA – in vielen Nichtwohngebäude und definiert hohe Anforderungen an die Energieeffizienz der GA-Systeme. Die Umsetzung der Vorgaben erfordert die hersteller- und technologieübergreifende Kommunikation der gebäudetechnischen Systeme und Anwendungen, die mittels BACtwin erzielt werden kann. Der Beitrag erläutert die Hintergründe und zeigt Details zur Umsetzung auf.
Für Organisationen mit einer Vielzahl von Liegenschaften, Gebäuden und Anlagen stellen bereits die historisch gewachsenen Gebäude und Anlagen sowie die vorhandene Protokoll- und Systemvielfalt der Gebäudeautomation oft eine besondere Herausforderung dar. Denn zahlreiche Standardisierungs- und Integrationslücken müssen in vorhandenen GA-Systemen gewerkeübergreifend geschlossen werden. So müssen z. B. Informationen zur Regelung und Steuerung der Anlagen vollständig und in standardisierten, maschinenlesbaren Formaten vorliegen. Standardisierungen der digitalen Informationen und grafischen Darstellungen der Anlagen in herstellerneutralen Formaten ermöglichen dann u. a. Facility Managern und Monitoring-Dienstleistern das Verständnis über das Steuer- und Regelverhalten beim Anlagenbetrieb. Dadurch können die Energiesparpotenziale IT-gestützt und technologieübergreifend ermittelt und im laufenden Betrieb effizient genutzt werden.
Standardisierungs- und Integrationslücken gewerkeübergreifend schließen
Im April 2024 hat der AMEV (Arbeitskreis Maschinen- und Elektrotechnik der staatlichen und kommunalen Verwaltungen) mit dem BACtwin ein umfassendes Datenmodell für die herstellerneutrale Anwendung des BACnet-Protokolls veröffentlicht, das die GEG-Ziele konsequent umsetzt. Der Kurzbegriff BACtwin steht für „Digitaler Zwilling in der Gebäudeautomation mit BACnet“ und orientiert sich am Digitalen Zwilling im Kontext von Industrie 4.0 und an BIM im Bauwesen. BACtwin baut auf neuen Konzepten und Erfahrungen im D-A-CH-Bereich auf (Österreichisches Bundesheer, Universität Basel, Deutsche Bahn). Der AMEV Arbeitskreis BACtwin hat diese neuen Impulse in Kooperation mit erfahrenen BACnet-, GA- und IT-Fachleuten aus dem D-A-CH-Bereich zu einem umfassenden, schlüssigen Datenmodell weiterentwickelt. Im Februar 2025 wurde ein erstes Update mit einer erweiterten und verbesserten Version (AMEV1.1) als BACtwin 2025 veröffentlicht.
Ziele des BACtwin-Konzeptes sind die umfassende IT-gestützte Standardisierung, Digitalisierung und Automatisierung der GA-Systeme mit BACnet. Die Vorlagen in der BACtwin-Bibliothek stellen ein flexibel nutzbares Baukastensystem in prüffähiger, maschineninterpretierbarer Tabellenform dar. Die BACtwin-Beschreibung erläutert das Datenmodell und die Anwendung der Bibliothek.
Objekt- und Aggregate Templates
Zur vereinfachten Anwendung des BACnet-Standards dienen 300 Objekt-Templates (Vorlagen). Jedes Objekt-Template definiert eine Standard-GA-Funktion (z. B. Schaltbefehl, Messwert) mithilfe eines BACnet-Objektes, dessen Properties und der dafür empfohlenen Parameter. Auf dieser Basis konfigurieren Aggregate-Templates anhand passend ausgewählter Objekt-Templates ca. 100 Standardaggregate (z. B. Pumpe, Fühler, Stellventil). Zusätzlich definiert das Datenmodell 40 Baugruppen-Templates (z. B. Heizkreis, Vorerhitzer, WRG) und mehrere Beispiele für Anlagen-Templates (z. B. Anlagenübergreifende Wärmerückgewinnung, Wetterstation).
Alle Templates basieren auf den neuen AMEV-Profilen AS-C und AS-D für Automationsstationen (Bild 1 unten). Dazu wurde das AMEV-Profil AS-C aktualisiert (auf der Basis des AMEV-Profils AS-B) und umfasst zusätzliche Properties aus den BACnet-Revisionen 1.14 und 1.16. Das AMEV-Profil AS-D umfasst auch das Profil AS-C und zusätzlich den Objekttyp Structured View. Ein Structured View-Objekt unterstützt die modulare Darstellung von Anlagenstrukturen und Dateninhalten von standardisierten Aggregaten, Baugruppen und Anlagen. Dies ermöglicht die Automatisierung zeitintensiver und fehlerträchtiger manueller Prozesse (z.B. Datenübergabe, Dokumentation, Prüfung).
Nichtwohngebäude verfügen oft über viele tausend GA-Datenpunkte mit rund 20 Parametern pro Datenpunkt, daher sind neue Gebäude mit mehr als 50.000 Einstellwerten keine Seltenheit. Eine Schlüsselrolle beim Umgang mit den GA-Massendaten spielt der Benutzeradressierungsschlüssel (BAS). Das Zusammenwirken zwischen dem BACtwin-BAS und den BACtwin-Templates zeigt Bild 1.
GA-Massendaten automatisiert prüfen
Der BACtwin-BAS verwendet weitmöglich die Begriffe und Kürzel der VDI-Richtlinie 3814 Blatt 4.1 und ergänzt sie bei Bedarf. Die verwendeten Kürzel sind in der Regel dreistellig und im gesamten BACtwin-BAS eindeutig. Die logische Struktur des BACtwin-BAS wurde grundlegend überarbeitet und trennt klar zwischen dem funktionsorientierten, standardisierten BACtwin-BAS (von Gewerk bis GA-Funktion) und dem nutzerspezifisch festzulegenden Orts-BAS (Bild 2, mit beispielhaftem Orts-BAS). Neue BAS-Ebenen wie „Medium, Position“ ermöglichen eindeutig nachvollziehbare Zuordnungen, statt durchlaufende Nummerierungen, z.B. von Fühlern (HZV = Heizungsvorlauf). Infolge der streng hierarchischen Gliederung ist der BACtwin-BAS maschineninterpretierbar und ermöglicht automatisiertes Prüfen der GA-Massendaten (z. B. GA-Funktionen) mittels BACtwin-fähiger Prüf-Tools.
In der Betreibervorgabe (Bild 1: orange) spezifiziert der Bauherr bzw. Betreiber die Anwendung des BACtwin-Konzeptes in seinem Organisationsbereich. So legt er z. B. fest, welche der im BACtwin-Datenmodell möglichen Varianten in den Bauprojekten organisationsweit zur Ausführung kommen sollen (z. B. mögliche Optionen beim Funktions-BAS) und vervollständigt das Datenmodell mit dem nutzerspezifischen Orts-BAS. Die „BACtwin-Einstellungen“ der Betreibervorgabe dienen als fachlich fundierte Basis für die GA-Planung und -Ausführung mit BACnet und sollen als verbindliche Vorgabe in einem GA-Lastenheft nach VDI-Richtlinie 3814 integriert werden.
Planung und Ausführung mit Software-Tools
Bei Bauprojekten sind BACtwin-fähige Software-Tools wichtige Arbeitshilfen für die Anwender (Bild 1: blau, grün). Planer und ausführende Firmen können auf neutral vordefinierte Standard-Aggregate, -Baugruppen und -Anlagen zurückgreifen. Die einheitliche Adressierung unterstützt effiziente, IT-gestützte GA-Anwendungen und neutralen, verlustfreien Datenaustausch. Die Vorstellung erster BACtwin-fähiger Software-Tools wird zur ISH 2025 erwartet.
Aufgrund der notwendigen Zukunftssicherheit ist der BACtwin als ausbaufähiges Baukastensystem konzipiert, das flexibel an Weiterentwicklungen der Technik und Regelwerke angepasst werden kann. Weitere Verbesserungen werden durch die Realisierung von Bauprojekten mittels Building Information Modeling (BIM) erwartet. Die Integration nützlicher Elemente des BACtwin-Datenmodells (z.B. maschinenlesbare BACtwin-Adressierung, Standard-Aggregate) in BIM-Datenmodelle kann einen Beitrag für die Standardisierung der BIM-basierten Bauprojekte leisten.
BACtwin Forum
Für den Informations- und Erfahrungsaustausch der BACtwin-Anwender findet jährlich ein eintägiges Forum statt. Die Premiere am 21. Juni 2022 in Mainz stand unter dem Thema: „BACtwin - Der digitale Zwilling der Gebäudeautomation als Voraussetzung für die Digitalisierung Ihrer Facility Management Prozesse“. Im Jahr 2023 wurden die Vorträge als Webinar einem größeren Publikum vorgestellt. Eine gelungene Mischung von Bauherrn, Planern, Herstellern und Betreibern zeichnete das gut besuchte BACtwin Forum 2024 in Mainz aus (Referate unter: www.t1p.de/tab-3-2025-BACtwin-1). Das BACtwin Forum 2025 ist in Kooperation mit dem AMEV Arbeitskreis BACtwin für den 28. Oktober 2025 in Mainz geplant.
Mehrere große Organisationen haben sich bereits für die Anwendung des BACtwin entschieden. Als Gründe dafür wurden vor allem genannt:
Unterstützung im Umgang mit der massiven Zunahme der GA-Daten.
Unterstützung im Umgang mit der steigenden Komplexität der GA-Systeme.
Exakte Interpretation jedes DP (bis zur GA-Funktion) mittels BACtwin-BAS.
Grundlage für die Anwendung von Qualitätsmanagement (z. B. Prüftools, TMon).
Umfassend standardisierte Basis für den Einsatz von KI.
Großes Potenzial und Zukunftsfähigkeit des BACtwin.
Fazit
Die Anwendung des BACtwin bietet allen Projektbeteiligten bedeutende Vorteile. Der Entwicklungs- und Abstimmungsaufwand bei der Planung, Umsetzung und Sanierung von GA-Systemen wird erheblich reduziert. Doppelarbeit und Fehler durch Medienbrüche werden vermieden. Aufgrund der neutralen Standardisierung muss kein Anwender mehr bei jedem GA-Projekt „das Rad neu erfinden“. Der BACtwin 2025 (Version AMEV1.1) steht auf Deutsch und Englisch zum Download zur Verfügung unter: www.t1p.de/tab-3-2025-BACtwin-2.
Autoren
MinR i.R. Dipl.-Ing. Jürgen Hardkop
Ehem. Referatsleiter TGA im Bauministerium NRW, Obmann der AMEV BACtwin 2024 und 2025
Dipl.-Ing. (FH) Eike Hinck
Mitarbeiter des Energiemanagements der Gebäudewirtschaft der Stadt Köln, Obmann der AMEV BACnet 2017
André Höhne, staatl. gep. Elektrotechniker
leitete die GFR-Arbeitsgruppe „Useradresse“, Bosch Building Automation GmbH (ehemals GFR), Mitarbeiter im AMEV AK BACtwin seit 04/2021
Dipl.-Ing. (FH) Jürgen Langstein VDI
Consultant bei Delta Controls Germany GmbH, Mitarbeiter im AMEV AK BACtwin seit 04/2021
B-Eng. Dominik Gerhold
Senior Projektingenieur und Spezialist Planungstools GA im Ingenieurbüro M&P Braunschweig GmbH, Mitarbeiter im AMEV AK BACtwin seit 06/2024