Trinkwasser-Installationen: ganzheitliche Betrachtungsweise

Erläuterungen zur Neuauflage der VDI 6023

Mit Veröffentlichung der Weißdrucke der VDI 6023 Blatt 1 und VDI-MT 6023 Blatt 4 ist die Richtlinienreihe VDI 6023 („Hygiene in Trinkwasser-Installationen; Anforderungen an Planung, Ausführung, Betrieb und Instandhaltung“) jetzt komplett. Sie stellt damit – in Bezug auf Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten – den aktuellen Wissensstand zum Erhalt der Trinkwassergüte dar.

Binnen einer Dekade kann viel passieren. Vor rund zehn Jahren sorgte bspw. beim Thema „Erhalt der Trinkwassergüte“ in der Fachwelt die seinerzeit novellierte Trinkwasserverordnung (TrinkwV) für massive Diskussionen. Denn über die Neufassung wurden verbindliche Regeln für Materialien und Werkstoffe in Kontakt mit Trinkwasser eingeführt. Durch diese Änderung konnte das Umweltbundesamt (UBA) im nächsten Schritt erstmals verbindliche Anforderungen zur Bewertung der hygienischen Eignung von Werkstoffen und Materialien festlegen. 

Das Beispiel macht plastisch deutlich, wie viel sich seitdem getan hat – und warum die ebenfalls in jenem Jahr (erstmals) veröffentlichte VDI 6023 novelliert werden musste. Insbesondere, weil aus der punktuellen Betrachtung des Systems Trinkwasserversorgung und -Installationen ein ganzheitlicher Betrachtungsansatz geworden ist, wie schon der „Wichtige Hinweis“ in der Einleitung zur neuen VDI 6023 deutlich macht: „Voraussetzung für die Einhaltung der Hygieneanforderungen der TrinkwV ist ein hygienisch einwandfreier Anlieferungszustand des Trinkwassers und der trinkwasserberührten Komponenten der Trinkwasser-Installation. Die Verantwortung für eine lückenlose Qualitätskette liegt gleichermaßen beim Wasserversorgungsunternehmen sowie bei den Komponentenherstellern, der Lieferkette, beim Handel, beim Anlagenerrichter und beim späteren Betreiber und Nutzern.“ Die VDI 6023 fügt sich mit diesem Verweis harmonisch in das auch in der Europäischen Trinkwasserrichtlinie (DWD) formulierte Verständnis ein, den Erhalt der Trinkwasserqualität ganzheitlich zu betrachten: Der Erhalt der Trinkwassergüte geht jeden etwas an, der damit zu tun hat – das wird im Übrigen auch die derzeit in Überarbeitung befindliche TrinkwV unterstreichen, wenn sie in diesem Frühsommer veröffentlich wird.

Ganzheitliche Betrachtung

Diese inhaltliche Ausweitung erscheint auf den ersten Blick überraschend, denn eigentlich ist die VDI 6023 mit 38 gegenüber 62 Seiten deutlich schlanker geworden als die Vorgängerfassung von 2013. Das hat aber einen einfachen Grund: Weil Planer, ausführende Fachhandwerker und Betreiber einer Trinkwasser-Installation jetzt gleichermaßen für den Erhalt der Trinkwasserhygiene verantwortlich sind, wurden aus Gründen der Übersichtlichkeit zu Einzelaspekten auch einzelne Blätter notwendig. Dazu zählen bspw. die Gefährdungsanalyse als eigenständiges Blatt 2, Betrieb und Instandhaltung als Blatt 3.

Die Gefährdungsanalyse ist damit zugleich ein gutes Beispiel, wie die Regelwerke zum Erhalt der Trinkwassergüte mittlerweile zusammenhängen: Der entsprechenden Empfehlung des UBA zum Aufstellen einer Gefährdungsanalyse folgend erweitert die VDI 6023-2 (als privatrechtliche Empfehlung), diese schon in der Trinkwasserverordnung §16, Absatz 7, beschriebene Pflicht, wenn technische Maßnahmenwerte überschritten werden. Die VDI 6023-3 wiederum steht im inhaltlichen Kontext mit der VDI 3810, Blatt 2 „Betreiben und Instandhalten von Gebäuden und gebäudetechnischen Anlagen – Trinkwasser-Installationen“ sowie mit der DIN EN 806-5 „Technische Regeln für Trinkwasser-Installationen – Betrieb und Wartung“, auf die ebenfalls verwiesen wird.

Auf Details geachtet

Diese Neugliederung ist nur das eine. Entscheidender sind die inhaltlichen Änderungen der VDI 6023. Hier fällt z. B. auf, dass das Raumbuch, und damit der bestimmungsgemäße Betrieb, deutlich stärker gewichtet werden als in der Vergangenheit. Bisher wurde das Raumbuch im Kontext der allgemeinen Planungsrichtlinien mit Verweis auf die VDI 6028, Blatt 1, vergleichsweise kurz abgehandelt. Jetzt wird mit der Forderung nach einer

Mindestdokumentation zur Raumnutzung mit erwartbaren Raumtemperaturen,

Überwachung des bestimmungsgemäßen Betriebs und der Betriebsparameter,

Beschreibung der Entnahmestellen mit u. a. Berechnungsdurchfluss, Mindestfließdruck und Nutzungshäufigkeit,

sowie Darstellung der erforderlichen Anschlüsse von Nicht-Trinkwasser-Installationen

deutlich die Notwendigkeit unterstrichen, im Sinne eines hygienegerechten Betriebs einer Trinkwasser-Installation vor Planungsbeginn die Bedarfe dezidiert zu ermitteln und die Trinkwasser-Installation danach auszulegen. Außerdem wird die Bedeutung der Betriebsphase betont; Stichwort: die gerade in den vergangenen Monaten intensiv diskutierten Betreiberpflichten.

Dazu passend: Mittlerweile existiert ebenfalls ein Entwurf der VDI 6070 Blatt 1 „Raumbuch – Allgemeine Anforderungen und Grundlagen“. Das Raumbuch ermöglicht es, bauliche Anlagen sogar gewerkeübergreifend und integral in unterschiedlichen Strukturierungen zu beschreiben. So kann das Raumbuch nach VDI 6070 von der Projektierungsphase als Anforderungskatalog für Raumausstattungsmerkmale bis hin zur Bewirtschaftungsgrundlage für das Facility-Management im Unterhalt genutzt werden.

Dass die neue VDI 6023 im Zusammenhang mit dem Raumbuch die erwartbaren Raumtemperaturen thematisiert, unterstreicht ebenfalls den umfassenden Ansatz des neuen Regelwerkes. Hier geht es nicht mehr allein um die „rein technokratische“ Auslegung der Trinkwasser-Installation entlang von Volumenströmen und Gleichzeitigkeiten, sondern auch um die äußeren Einflüsse, die den Erhalt der Trinkwasserhygiene gefährden. Dazu gehören nicht zuletzt die Wärmelasten innerhalb eines Raumes, durch die sich die Temperatur von Trinkwasser kalt (PWC) in einen hygienekritischen Bereich verschieben kann. Als Grenzwerte nennt die neue VDI 6023 dabei für PWC 25 °C, für Trinkwasser warm (PWH) 55 °C – aber mit Verweis auf die Ausnahmen ausschließlich für PWH aus der DIN 1988-200 sowie des DVGW-Arbeitsblattes W 551 A.

Installationsumfeld berücksichtigen

Thematisiert werden in diesem Zusammenhang ebenfalls die Risiken für die Hygiene von PWC durch Wärmeübergänge. Danach sind Trinkwasser-Installationen so zu planen, dass sie von Wärmequellen entkoppelt sind und Wärmeübergänge in der Verteilung durch eine entsprechende Rohrleitungsführung vermieden werden. Ein wichtiges Stichwort ist hier der Verweis auf getrennte Schächte für kalt- und warmgehende Leitungen.

Dass Fachplaner und planende Fachhandwerker bei der Auslegung und Umsetzung von Trinkwasser-Installationen künftig wesentlich stärker als bisher „über den Tellerrand“ schauen müssen, zeigt auch der unter Position 5.3.2 „Mindestanforderungen an die Planung“ in der VDI 6023 zu findende Hinweis auf die Hauseingangstemperaturen von Trinkwasser kalt: „Die Möglichkeit, dass die Temperatur des Trinkwassers ... bereits am Hauswassereingang entgegen den Anforderungen von DIN 2000 und DVGW W 400-1 mehr als 20 °C beträgt, ist planerisch zu bewerten und gegebenenfalls zu berücksichtigen. ...“. Dahinter steht die zunehmend zu beobachtende Gefahr, dass sich PWC ansonsten innerhalb des Gebäudes weiter aufheizt, was zur Vermehrung von Mikroorganismen führen kann – wenn der hygienekritische Bereich > 25 °C (aus Sicht der Hygieniker besser: > 20 °C) nicht durch ergänzende technische Maßnahmen bis hin zur aktiven Kühlung vermieden wird.

Zur hygienegerechten Planung und Installation von Feuerlösch- und Brandschutzanlagen verweist die VDI 6023 dabei zunächst auf die bekannten Regelwerke DIN EN 1717, DIN 1988-100 und insbesondere DIN 1988-600. Gleichzeitig gibt sie z. B. den wichtigen Hinweis, dass „Löschwasserleitungen (nass), die an die Trinkwasser-Installation unmittelbar angeschlossen sind, nicht dauerhaft hygienisch sicher betrieben werden können.“ Daher gebe es für diese Anlagen keinen Bestandsschutz. Hier steht die VDI 6023 also in gewisser Weise im Widerspruch zur DIN 1988-600. Sie macht den Bestandsschutz von der TrinkwV abhängig („Werden die Anforderungen der TrinkwV nicht erfüllt, besteht kein Bestandsschutz.“), während die VDI 6023 eine generelle Trennung der Systeme fordert. Wie speziell diese für Planer alltagstypische Aufgabenstellung in der künftigen Trinkwasserverordnung beschrieben wird, bleibt ebenfalls abzuwarten.

Hinweise für die Betriebsphase

Bei der Analyse und Bewertung von Risiken für die Trinkwasserhygiene spielt bekanntlich nicht nur die fachgerechte Auslegung und Installation eine Rolle, sondern ebenso die anschließende Betriebsphase. Dem trägt die neue VDI 6023 mit Hinweisen Rechnung, wie der bestimmungsgemäße Betrieb sichergestellt und überwacht werden kann. Das beginnt bereits in der Entwurfsphase mit der Festlegung von Merkmalswerten. Die VDI 6023 nimmt damit schon die Risikobewertung aus dem Water-Safety-Plan voraus. Dazu gehören in dem neuen Regelwerk nicht zuletzt dezidierte Anwendungshinweise bspw. auf die Auflistung aller Komponenten einer Trinkwasser-Installation inkl. Bestimmung und Bewertung möglicher Mängel, die diese Komponenten verursachen können. Darüber hinaus ist auch ein Instandhaltungsplan zu entwickeln, der als Betriebsbuch fortgeschrieben werden muss.

Und damit besagte Installationskomponenten tatsächlich regelmäßig auf ihre Funktionstüchtigkeit hin überprüft werden können, gilt nach VDI 6023 „Anforderungen an die Instandhaltung“ gleichfalls: „Die für den hygienisch einwandfreien Betrieb erforderlichen Maßnahmen für die Instandhaltung ... müssen für alle ... Armaturen, Bauteile, Apparate und Trinkwasserleitungen in der Instandhaltungsplanung berücksichtigt werden. ... Die Trinkwasser-Installation ist in ihrer Gesamtheit so zu planen, dass im späteren Betrieb Probenahmen, Reinigungs- oder Desinfektionsarbeiten an den Armaturen, Funktionsbauteilen, Apparaten und gegebenenfalls Rohrleitungen möglich sind. ...“.

Der bestimmungsgemäße Betrieb selbst kann dann gleichwertig manuell oder automatisch erfolgen. Mit Verweis auf die notwendige regelmäßige Überprüfung elektronischer Bauteile in solchen Systemen zielt die VDI 6023 bereits auf die Einbindung der Komponenten in eine Gebäudeautomation nach VDI 3814 oder auf ein technisches Anlagenmonitoring nach VDI 6041, das gleichzeitig eine verlässliche Dokumentation der Betriebsparameter ermöglicht.

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