Biomasse und Wärmenetze

Effizient, umweltfreundlich, zukunftsfähig

Sollen Wärmenetze nicht nur im Niedertemperaturbereich eine Zukunft haben, braucht es neuer regenerativer Brennstoffe. Am ehesten eigenen sich durch die hohen Temperaturniveaus Biomasse und Müll. Landauf, landab rüsten deswegen Energieversorger ihre Kraftwerke um oder installieren neue. Für Bauplaner und Kunden hat diese Lösung einen großen Vorteil: Die Vorgaben des neuen Gebäudeenergiegesetzes (GEG) zur Einkopplung erneuerbarer Energien können so leicht erfüllt werden.

Mit Nah- und Fernwärmenetzen werden derzeit rund 5,5 Mio. Wohnungen in Deutschland versorgt. Damit ist diese Wärmetechnologie die Nummer drei nach Erdgas und Heizöl. In Zukunft soll der Anteil an Wärmenetzen weiterwachsen. Das ist politisch gewollt: Von 7 % im Jahr 2000 über die derzeit gut 14 % soll der Anteil 2030 gar bei 20 % liegen. Bis 2050 soll er sogar auf 37 % ansteigen. Damit wären Wärmenetze dann die Nummer eins in der Wärmeversorgung.

Doch bis dahin sollen auch die Wärmenetze dekarbonisiert sein. Bisher sind Kohle und Erdgas die Brennstoffe der Wahl. Sie werden in Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen wie Gas- und Dampfturbinen (GuD) in großen Mengen zur Stromerzeugung und Wärmeerzeugung verbrannt. Gleiches gilt für reine Kraftwerke, die die Wärme als „Abfallprodukt“ auskoppeln und in Wärmenetze einspeisen, wie das Braunkohlekraftwerk Lippendorf bei Leipzig.

Gerade Leipzig ist prädestiniert als Beispiel für die Wärmeversorgung in naher und ferner Zukunft. Derzeit plant die Stadt eine Strategie zum Kohleausteig. Die Wärme aus Lippendorf soll durch ein eignes neues und zweites GuD mit rund 200 MW Leistung ersetzt werden. Dieses wird mit Erdgas betrieben. Eine Dekarbonisierung ist das noch nicht, deswegen will die Stadt parallel dazu ein Biomasse- und Müllheizkraftwerk und eine große solarthermische Anlage aufbauen. Beide werden mit einem sehr großen Pufferspeicher verbunden, der Wärme auf Vorrat einlagern kann.

Neben diesen großtechnischen Anlagen gibt es in Leipzig noch eine weitere Strategie: In Quartieren, also nah beim Verbraucher, werden große, rund 3 MW leistende BHKW auf Erdgasbasis installiert, die vor Ort Strom erzeugen und die Wärme direkt in das dortige Netz einspeisen. Damit will die Stadt das Bevölkerungswachstum und den damit steigenden Bedarf an Strom und Wärme auffangen. Vier solcher Anlagen sind bereits installiert, weitere sollen folgen.

 

Dekarbonisierung nicht durch Erdgas

Doch auch hier gilt: Eine Dekarbonisierung ist dies noch nicht. Möglich wäre es aber, die BHKW mit Biomasse statt mit Erdgas zu betreiben, großflächige Solarthermie einzukoppeln oder Geothermie sowie Großwärmepumpen zu nutzen.

Geothermie ist in Deutschland nur in vier Gegenden lohnend, so etwa in Oberbayern und im Rheingraben. Großwärmepumpen wären eine interessante Variante. Doch sie können derzeit auch aufgrund der politischen Rahmenbedingungen kaum kostendeckend arbeiten. Denn die Investition in eine Großwärmepumpe beträgt nach Abschätzungen des Hamburg Instituts gut 10 Mio. €. Ein vergleichbares Erdgas-BHKW kostet nur 7 Mio. €. Die Förderung der Großwärmepumpe ist auf 50.000 € gedeckelt. Beim BHKW können es inklusive aller Boni 14,3 Mio. € sein.

 

Biomasse häufig einzige Option

Bliebe zur Dekarbonisierung eigentlich nur Biomasse, da eine großflächige Solarthermie gerade in innerstädtischen Bereichen, die für Wärmenetze besonders attraktiv sind, aufgrund des Platzmangels und der Grundstückkosten kaum eine Option ist. Biomasse kommt dabei in verschiedenen Formen in Frage. Für großtechnische Anlagen können das Hackschnitzel sein oder zur Verbrennung zugelassene Holzreste sowie Brennholz direkt aus dem Wald. Für kleinere Anlagen bieten sich ebenfalls Hackschnitzel an oder Pellets, die auch einen vollautomatischen Betrieb ermöglichen. Pellets und Hackschnitzel sind genormt, verfügen mit ENplus über ein eigenes Zertifizierungssystem, das vom Deutschen Energieholz- und Pelletverband (DEPV) betreut wird und ein garantiert problemfreies Verbrennen garantieren soll.

Diese Lösung hat gegenüber der herkömmlichen Fernwärme einen großen Vorteil: Der Brennstoff ist günstiger als Kohle oder Erdgas. Damit sinken auch die Kosten für die Endverbraucher. Denn Fernwärme aus fossilen Quellen ist die zweitteuerste Heizvariante in Deutschland – nach der Direktstromheizung, wie der mit Nachtspeicheröfen. In Kombination mit dem Effizienzvorteil in Nahwärmenetzen, die also nur mit BHKW versorgt werden könnten, ist Biomasse als KWK-Lösung fast unschlagbar. Ausschlaggebend sind jedoch noch die Transportkosten für den Brennstoff. Denn solche Kraftwerke oder BHKW sollten immer nah an einer Brennstoffquelle liegen.

 

Guter Primärenergiefaktor

Zudem macht die rechtliche Lage die Nutzung von Biomasse attraktiv. Im neuen Gebäudeenergiegesetz wurden die Primärenergiefaktoren für Biomasse in Nah- und Fernwärmenetzen aus Kraft-Wärme-Kopplung bestätigt, sie liegen bei 0,0. Bei fossilen Brennstoffen liegt dieser Faktor bei 0,7. Bei reinen Heizwerken ist der Unterschied noch größer: Hier wird Biomasse mit 0,1 und fossile Brennstoffe mit 1,3 angesetzt. Für Planer ist es deswegen einfacher, mit Biowärme aus Netzen die Anforderungen des GEG, das auf der EnEV in der Fassung von 2016 und Teilen des EEWärmeG beruht, zu erfüllen. In Frage kommt auch die Verbrennung von Abfall. Viele Anlagen und Netze sind so konzipiert, dass sie beide Brennstoffe problemlos verarbeiten können.

Dieser Mix ermöglicht auch einen wirtschaftlichen Betrieb, da nur die Nutzung von Biomasse – verglichen mit einem reinen Kohleheizwerk – derzeit nicht wirtschaftlich wäre. Der Müll hingegen heizt fast zum Nulltarif. Eine Änderung hat sich hier ab 2021 ergeben. Denn das Brennstoffemissionshandelsgesetz (BEHG) wird die Kohle für reine Heizwerke deutlich verteuern, was einen Kostenvorteil für Biomasse bringt, die nicht besteuert wird.

Klar ist aber auch, dass solche Heizkraftwerke eben nah an den Brennstoffquellen stehen müssen. Denn lange Transportwege von Müll oder Biomasse zum Heizwerk wären kontraproduktiv.  In Heidelberg etwa wird deswegen auch Grünschnitt genutzt, der ortsnah bei der Landschaftspflege anfällt. Hinzu kommt außerdem: Wegen der Trassenverluste müssen die Heizkraftwerke nah beim Verbraucher stehen.

 

Verluste entscheidend für wirtschaftlichen Betrieb

Denn es gilt auch bei Biomasse oder Abfall: Letztendlich entscheiden die zu erwartenden und letztlich unvermeidbaren Verluste des Netzbetriebes über dessen Wirtschaftlichkeit. Durch die KfW erfolgt denn auch eine Förderung nur dann, wenn mindestens 500 kWh Wärme je Trassenmeter und Jahr abgenommen werden. Gefördert wird in diesem Fall mit 60 €/m bis zu 1 Mio. € Gesamtbetrag. Hinzu käme noch eine mögliche Förderung durch das BAFA. Sie kann sich – je nach Durchmesser der Leistung – auf bis zu 100 € je Trassenmeter belaufen.

Verschiedene Experten haben nun die maximalen Verluste berechnet, die in Wärmenetzen auftreten dürfen. Sie sollten bei maximal 15 kWh je angeschlossenem Quadratmeter Wohnfläche liegen. Aus diesen Verlusten und der Anschlussdichte lässt sich der Verteilnutzungsgrad berechnen. Dieser sollte 90 % in keinem Fall unterschreiten. Das wiederum entspräche einem Trassenverlust von 150 bis 250 kWh/(m a) für Neubauten. Im Bestand können es 25 bis 30 kWh/m2 bezogen auf die Wohnfläche sein, was einem Trassenverlustwert von 500 kWh/m entspricht.

Hinzu kommen noch die Verteilverluste. Diese ergeben sich im kommerziellen Wohnungsbau vor allem aus der Legionellensicherheit, da das Trinkwarmwasser mit mindestens 65 °C angeliefert werden muss. Die entsprechenden Vorlauftemperaturen betragen deshalb 90 bis 120 °C. Aus planerischer Sicht wäre zu überlegen, ob die Trinkwarmwasserbereitung hier nicht dezentral mittels Frischwasserstationen oder Durchlauferhitzern erfolgen sollte. Wenn dies in einem Quartier flächendeckend gelänge, könnten die Vorlauftemperaturen für die Heizung deutlich abgesenkt und damit die Verluste minimiert werden.

Generell sind geringere Systemtemperaturen immer eine Möglichkeit, um die Verluste zu verringern. Dazu gehört aber eine gute Dämmung der Leitungen, die wiederum einen guten Wärmedurchgang garantiert. Auch die Ausgestaltung der Rohre spielt eine Rolle. Je kleiner der Durchschnitt und je kürzer die Leitung, umso geringer die Verluste. Zudem wird so an Material und Kosten gespart. Das wiederum spricht dafür, die Wärmeerzeugung nah am Verbraucher zu installieren, wie etwa BHKW in Quartierslösungen (siehe folgende Praxisbeispiele).

Zudem kommt den Rohren hinsichtlich Material, Durchschnitt und Isolierung eine besondere Rolle bei der Verlustminimierung zu. Empfehlenswert ist es etwa, Vor- und Rücklaufleitungen in einem gemeinsamen, dickeren sogenannten Tron- oder Duo-Rohr zu verlegen. Sowohl die das beide Leitungen ummantelnde Rohr als auch die Leitungen selbst werden dabei gedämmt. Die Netzverluste können so halbiert werden. Im Gebäude selbst können zudem die Leitungen für Heiz- und Trinkwasser getrennt werden. In die einzelnen Räume führen dann nur noch zwei Leitungen für Warm- und Kaltwasser. In den Wohnungen erfolgt die Warmtrinkwasserbereitung mittels Frischwasserstationen, die letztlich einen Plattenwärmeübertrager enthalten. Das minimiert die Zirkulationsverluste im Gebäude, aber auch im gesamten Leitungsnetz.

 

Praxisbeispiel Birkenfeld: Nahwärme aus Biomasse in einer Bestandssiedlung

In Birkenfeld in Rheinhessen werden seit 2016 sechs Neubaugebiete von 20 bis 650 Wohneinheiten mittels Kraft-Wärme-Kopplung mit Strom und über ein 2,1 km langes Netz mit Wärme versorgt. Mehrere BHKW werden dafür mit Biomethan und Erdgas befeuert. 25 Spitzenlastkessel sorgen für eine kontinuierliche Wärmeabdeckung. Zehn davon werden mit Hackschnitzeln, 15 mit Pellets betrieben. Zudem wird Solarthermie eingekoppelt.

Zusammen stellen die Spitzenlastkessel und die BHKW eine Jahreswärmeproduktion von 28,5 Mio. kWh sicher. Als Brennstoff kommen auch Resthölzer oder Landschaftspflegeholz aus der Umgebung zum Einsatz. Die Wahl fiel deswegen auf Biomasse, weil Stadt und Landkreis als Betreiber eine Absenkung der CO2-Emissionen um 70 % erreichen wollten. Der Wärmegrundpreis liegt bei 36 €/kW und Jahr und der Arbeitspreis bei 5,2 Cent je kWh. Die Holzwärme deckt 75 % des gesamten Bedarfs ab, die BHKW 15 % und die Spitzenlastkessel 10 %.

 

Praxisbeispiel Bingen: Nahwärme mit Hackschnitzel

Seit 2008 werden in Bingen ein Neubaugebiet, das Gartenbauamt und die dort ansässige Fachhochschule mittels einer 3.000 kW leistenden Holzhackschnitzel-Heizzentrale inklusive BHKW und einem Wärmenetz mit allen Übergabestationen und einem 12.000 l fassenden Pufferspeicher mit Wärme versorgt. Die Staubemissionen der Holzheizung liegen dank eines Multizyklon-Staubabscheiders sowie eines Elektrofilters unter 50 mg/m3.

 

Praxisbeispiel Märkische Viertel: Heizkraftwerk mit Biomasse

Das Märkische Viertel in Berlin wird mit einem großen Biomasseheizkraftwerk versorgt. Es leistet 18 MWth und 5 MWel und reicht aus, um 30.000 Wohnungen, Industriebetriebe und öffentliche Einrichtungen mit Wärme zu versorgen.

 

Praxisbeispiel Lupburg: Wärme durch Biomasse-Holzvergaser

Biomasse muss nicht unbedingt direkt verbrannt werden. Sie kann auch vergast werden. Ein Beispiel dafür findet sich in Lupburg in der Oberpfalz. Dort sorgt seit 2014 ein Holzvergaser-BHKW mit 270 kWth und 180 kWel für erneuerbare Wärme. Spitzen werden mit drei Hackschnitzelkesseln mit 160 kW, zwei je 20 m3 fassenden Pufferspeichern, einer PV-Anlage mit 30 kWp sowie einem 10 kW fassenden Stromspeicher abgedeckt. Die Kessel sind auf intelligente Weise als Kaskaden geschaltet. Das System versorgt 130 Wohngebäude und kommunale Einrichtungen durch ein 4,5 km langes Nahwärmenetz. 2018 wurde es um zwei Pelletskessel mit je 360 kW und die Erschließung eines Neubaugebiets ergänzt. Erzeugt werden insgesamt rund 2,28 MWh Wärme aus erneuerbaren Energien, was einer Einsparung von etwa 615 t CO2-Äq im Jahr entspricht. Das Holz kommt aus nachhaltig bewirtschafteten Wäldern der Umgebung.

Info

Parameter für Wärmenetze im Neubau

 wohnflächenbezogener Verteilnetzverlust: 10 bis 15 kWh/m²a

 Trassen-Verlustwerte: 150 bis 250 kWh/m

 Netznutzungsgrad: über 90 %

 KWK-Anteil Wärmeenergie: > 25 bis 50 %

 Anschlussdichte: mehr als 20 Wohneinheiten je Gebäude

 Wärmebelegungsdichte (Abnahme): 500 kWh je Trassenmeter und Jahr (nach KfW- Förderrichtlinien, empfehlenswert sind mindestens 1.350 kWh je Trassenmeter und Jahr)

Parameter für Wärmenetze im Bestand

 wohnflächenbezogener Verteilnetzverlust:
25 bis 30 kWh/m²a

 Trassen-Verlustwerte: maximal 500 kWh/m

 Netznutzungsgrad: 88 bis 90 %

 KWK-Anteil Wärmeenergie: > 50 %

 Anschlussdichte: mehr als 20 Wohneinheiten je Gebäude

 Wärmebelegungsdichte (Abnahme): 500 kWh je Trassenmeter und Jahr (nach KfW- Förderrichtlinien, empfehlenswert: ebenfalls mindestens 1.350 kWh je Trassenmeter und Jahr)

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