Berlins neues Aushängeschild

Umnutzung des Flughafens Tempelhof

Der Flughafen Tempelhof hat eine bewegte Vergangenheit: Der Ort ist genauso untrennbar mit der Fluggeschichte der Welt verbunden wie mit den Schrecken des Kalten Krieges und der großen Solidarität der Berliner Luftbrücke. Tempelhof steht daher nicht nur als Symbol der Hoffnung und Freiheit, sondern auch für die Mischung und Heterogenität der deutschen Hauptstadt. Damit der Standort auch weiterhin seine bedeutsame Rolle ausfüllen kann, ist die nachhaltige Sanierung im Sinne der klimaneutralen Metropole Berlin 2050 notwendig.

Als maßgeblicher Bestandteil des Entwicklungskonzeptes „Vision 2030+“ soll der Flughafen Tempelhof in den kommenden Jahren Berlins zentraler Ort für Kunst, Kultur sowie Kreativwirtschaft werden. Neben gemischten Büroflächen werden auch temporäre Veranstaltungen sowie kulturelle Dauernutzungen möglich sein. Zudem ist vorgesehen, die Erdgeschosse des Flughafengebäudes der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Als ersten Schritt bedarf es hierzu allerdings die komplette Erneuerung der zentralen gebäudetechnischen Anlagen im Baudenkmal. Um dieses Ziel zu erreichen, läuft derzeit das Projekt „Technische Infrastruktur 2030“. 

Neues Konzept ersetzt alte Infrastruktur

Die technische Infrastruktur für die Wasser-, Abwasser-, Wärme-, Raumluft- und Stromversorgungstechnik stammt größtenteils aus der Erbauungszeit der Jahre 1936 bis 1941. Sie ist vollständig veraltet und muss daher den heutigen Standards angepasst werden.

Aufgrund dessen – und um den THF als öffentlichen Standort im Rahmen der Klimaschutzziele des Landes Berlin nachhaltig gestalten zu können – wurde ein ganzheitliches technisches Ver- und Entsorgungskonzept (VEK) erstellt. Im Fokus standen dabei die energetische Versorgung durch das Nutzen von erneuerbaren Energiequellen wie Abwasserwärmenutzung, das Nutzen von Abwärme aus Lüftungsanlagen sowie die Umwandlung der Sonnenenergie. Diese Kapazitäten sollen künftig effizient für alle Anlagengruppen der Technischen Ausrüstung angewendet werden.

Neben den Sanitär-, Heizungs- und Starkstromanlagen sind darüber hinaus auch die Regularien hinsichtlich der Raumlufttechnik, IT-, Sicherheits- und Kommunikationstechnik sowie der Gebäudeautomation entworfen. Das Konzept bildet die Grundlage, im Optimalfall eine CO2-Einsparung von 95 % bis zum Jahr 2050 zu erreichen.

PV-Anlagen auf den Dächern sollen künftig jährlich mit etwa 4.100 MWh einen großen Teil des Strombedarfs decken. Zudem entstehen zwei Wärme- und Kältenetze für die unterschiedlichen Gebäudeteile. Die Wärme wird zu 76 % durch Wärmerückgewinnung aus Abwasser- und Luft-/Wasser-Wärmeübertragung gewonnen. Darüber hinaus wird Biogas und Ökostrom unter Einbindung weiterer Niedertemperaturerzeuger und neuer Speichertechnologien zum Einsatz.

Hintergrund: Der Flughafen Tempelhof soll bei der Erreichung der Berliner Klimaschutzziele nicht nur durch modernste Netze („Smart Grid“, „Off Grid“, Energieverbund) sondern auch durch die Eigenerzeugung und Teilvermarktung von am Standort verbrauchter und erzeugter, regenerativer Energien eine Vorbildrolle einnehmen. Die Problematik dabei: Die Klimaschutzziele des Landes Berlin sehen eine CO2-Einsparung im Vergleich zu 1990 vor. Da allerdings keinerlei Abrechnungen aus diesem Jahr vorlagen, wurde der Verbrauch nach Vergleichswerten für Nichtwohngebäude aus „Bekanntmachung der Regeln für Energieverbrauchskennwerte und der Vergleichswerte im Nichtwohngebäudebestand“ vom 30. Juli 2009 ermittelt. Der aktuelle Verbrauch des Flughafengebäudes stammt somit aus den Jahren 2015 bis 2017 – gemittelt sowie witterungs- und leerstandsbereinigt. Der zukünftige Bedarf hingegen ist aus den bereits ermittelten Anschlussleistungen mit Vollbenutzungsstunden berechnet worden. Mithilfe der Energieverbrauchs- und -bedarfswerte konnten die CO2-Emissionen berechnet werden. Die Emissionsfaktoren entstammen aus dem „Climate Change“-Bericht von 2016 des Umweltbundesamtes. Darin sind auch Emissionsfaktoren von 1990 für den Strommix und Schweröl enthalten, die damals die Grundlage der Energieversorgung für das Flughafengebäude bildeten. Durch das neue Nutzungskonzept mit zusätzlich belüfteten und gekühlten Flächen und damit erhöhtem Energiebedarf jedoch steigen die CO2-Emissionen wiederum leicht an. Im Vergleich zu 1990 sind allerdings immer noch Einsparungen von rund 54 % vorhanden. Durch die Nutzung von Biogas und Ökostrom ist eine Einsparung von insgesamt 96 % im Vergleich zu 1990 möglich.

Flächenspezifische Kennwerte geben Auskunft

Für die Grobdimensionierung der TGA (Heizung, Kühlung, Lüftung und Elektro) wurden die Bereiche vorab in verschiedene Nutzungszonen eingeteilt. Auf Grundlage der berechneten Flächen des zukünftigen Konzepts wird dann unter Verwendung von spezifischen Kennwerten der Raumheiz- und -kühlsysteme sowie Luftmengen und elektrischer Leistung die gebäudetechnischen Anlagen überschlägig bemessen. Damit die flächenspezifischen Kennwerte überhaupt zu verwenden sind, wird die energetische Ertüchtigung der Gebäudehülle benötigt.

Im Zuge der Bestandserfassung wurden zudem die Schwachstellen, speziell die Fenster und Dächer, oberste und unterste Geschossdecken, aufgezeigt. Bei diesen Bauteilen sind denkmalgeschützte Sanierungen möglich (Basis hierfür ist die Studie von CRP Ingenieure). Die Leistungswerte werden mit Gleichzeitigkeitsfaktoren bewertet und aufsummiert, um eine erste Abschätzung der Anschlussleistungen für Wärme, Kälte und Strom zu erhalten. Der Gleichzeitigkeitsfaktor beträgt 0,8. Ausgenommen hiervon sind die Hangars 1 bis 4, da hier eine dauerhafte Nutzung vorgesehen ist.

Zusätzlich zur Leistungsbilanz für die Gebäude werden auf dem Flughafen Tempelhof aber noch weitere Leistungen für das Gesamtareal benötigt: Hierzu zählen die zentralen Erzeuger wie Wärmepumpen beziehungsweise Kältemaschinen, Leistungsvorhaltung für Elektromobilität und Veranstaltungen auf dem Tempelhofer Feld. Weiterhin müssen für die Bereiche, die aufgrund baurechtlicher Verordnungen eine Sicherheitsstromversorgung erhalten, Netzersatzaggregate bereitgestellt werden.

Hangar 1 (in Bild 5 ganz links) besitzt aufgrund der Personenanzahl und der damit verbundenen Luftwechselraten hohe spezifische Wärme- und Kälte-kennwerte. Beim Stromkennwert stechen Hangar und Vorfelder aufgrund der Eventnutzung heraus. Die Büroflächen hingegen kommen auf eher geringe Kennwerte im Vergleich zu den Event- und Musicalflächen.

Chancen und Mehrwerte

Das Ver- und Entsorgungskonzept verbindet zukunftsfähige Flexibilität bei Erzeugern und Verbrauchern mit wirtschaftlichem Betrieb inklusive hoher Versorgungssicherheit. Das ermöglicht es, die hochmodernen Mietflächen individuell und je nach Bedarf zu nutzen. Zusätzlich lassen sich durch Kooperationen mit Wissenschaft und Wirtschaft weitere Niedertemperaturwärmeerzeuger marktfähig machen und eine CO2-Neutralität langfristig anstreben. Die Nutzung urbaner Wärme- und Kältequellen sorgt dafür, dass verschiedene Energieträger zur Versorgung des Gebäudes eingesetzt werden und dadurch keine Abhängigkeit einzelner Versorger entsteht. Die großen Parkplatzflächen könnten sich darüber hinaus zum größten E-Mobility-Standort Berlins zu entwickeln. Und durch die zentrale Lage, die vorhandenen Flächen und die Versorgungssicherheit könnte der Standort Flughafen Tempelhof im Krisenfall eine optimale Rückzugsmöglichkeit bieten.

Info

Das Projekt

300.000 m2 Fläche und 7.269 Räume – das Flughafengebäude Berlin-Tempelhof (THF) gilt seit seiner Fertigstellung im Jahr 1941 als eines der größten Bauwerke der Welt. Während das 300 ha große Flugfeld nach der THF-Schließung Ende 2008 längst wieder für die Öffentlichkeit zugänglich ist und ausreichend Platz für unterschiedliche Freizeitaktivitäten bietet, ist das Gebäude mit seinen Freiflächen mittlerweile zur Heimat für Messen, Sportveranstaltungen, Konzerte oder Preisverleihungen geworden. Jetzt soll das denkmalgeschützte Ensemble klimaneutral saniert werden, um einen elementaren Beitrag zum Umweltschutz zu leisten. Dafür entwickelt die Tempelhof Projekt GmbH das Projekt „Technische Infrastruktur 2030“. Unterstützt wird sie dabei vom Stuttgarter Planungs- und Beratungsunternehmen Drees & Sommer SE, vertreten durch den Standort Berlin.

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