Ausblick auf die neue Gefahrstoffverordnung

Interview zu vorgesehenen Änderungen und Auswirkungen auf die Baubranche

Anfang März dieses Jahres ist eine aktualisierte Fassung des Referentenentwurfs der Verordnung zur Änderung der Gefahrstoffverordnung und anderer Arbeitsschutzverordnungen erschienen. Damit gehen nach derzeitigem Stand gewichtige Änderungen für die Baubranche einher. Im Fokus steht insbesondere, dass für sämtliche baulichen und technischen Anlagen mit Baujahr vor Oktober 1993 im Vorfeld jeder Arbeitsaufnahme eine Schadstoffuntersuchung zu erfolgen hat. Zum aktuellen Stand des Referentenentwurfs sprach die tab-Redaktion mit Dipl.-Ing. Florian Tiemann, technischer Berater für Gebäudeschadstoffe und Feinstäube, bei der Deconta GmbH.

tab: Herr Tiemann, mit der Überarbeitung der Gefahrstoffverordnung kommen auf alle am Bau Beteiligten Änderungen zu. Um welche Bereiche geht es hier?

Florian Tiemann: Zukünftig soll eine Fachkunde für alle Beschäftigten aus dem Bereich der Abbruch-, Sanierungs- und Instandhaltungsarbeiten (kurz ASI-Arbeiten) eingeführt werden. Ursache dafür ist, dass Beschäftigte aus diesen Bereichen potenziell bei ihrer Arbeit mit dem Gefahrstoff Asbest in Kontakt kommen könnten.

Mit dem § 5 ‚Sicherheitsdatenblätter sowie sonstige Informations- und Mitwirkungspflichten‘ soll der Verantwortungskreis der Auftraggeber erweitert werden. Neben z. B. öffentlichen Bauherren, Investoren und Unternehmen ist geplant, dass auch private Haushalte mit in die Verantwortung genommen werden. Aber auch die Verpflichtung seitens der Auftragnehmer (Planer, Unternehmer, Handwerker etc.) soll wachsen, indem bspw. die zur Verfügung gestellten Schadstoffuntersuchungsergebnisse auf Plausibilität zu prüfen sind.

tab: Blicken wir konkret auf den Bereich der Planung und Bauausführung. Welche wichtigen Änderungen sind hier vorgesehen?

Florian Tiemann: Besonders die Mitwirkungspflicht wird die Planer und Architekten sowie die verschiedenen Gewerke der Bauwirtschaft beschäftigen. Denn zum ersten Mal ist ein Generalverdacht für sämtliche baulichen und technischen Anlagen mit Baujahr vor Oktober 1993 festgeschrieben worden. Es muss also im Vorfeld jeder Arbeitsaufnahme eine Schadstoffuntersuchung erfolgen, die das Vorhandensein von Schadstoffen im Eingriffsbereich der geplanten Maßnahme widerlegt.

Dipl.-Ing. Florian Tiemann, technischer Berater für Gebäudeschadstoffe und Feinstäube, Deconta GmbH.
Bild: Deconta/Tiemann

Dipl.-Ing. Florian Tiemann, technischer Berater für Gebäudeschadstoffe und Feinstäube, Deconta GmbH.
Bild: Deconta/Tiemann
tab: Gesetzt den Fall, dass dieses so fixiert bleibt: Was sollte dann im Planungsablauf speziell beachtet werden?

Florian Tiemann: In Falle einer Gebäudesanierung oder eines Gebäudeabrisses sollte dann ein Sachverständiger für Gebäudeschadstoffe frühzeitig in das Projektteam eingebunden werden. So kann dann vor Aufnahme der Tätigkeiten festgestellt werden, ob mit Gefahrstoffen – insbesondere Asbest – zu rechnen ist und ob diese durch die geplanten Tätigkeiten freigesetzt werden könnten. Bei einem positiven Befund ist die Erstellung eines entsprechenden Sanierungskonzeptes zu empfehlen. Bei solch einem Konzept werden die zu ergreifenden Schutzmaßnahmen und Arbeitsverfahren ermittelt sowie die erforderliche Sach- und Fachkunde des ausführenden Personals bzw. ­Unternehmensqualifikationen entsprechend den Vorgaben der VDI-Richtlinienreihe 6202 ‚Schadstoffbelastete bauliche und technische Anlagen‘ beschrieben und definiert.

tab: Welche Regelwerke kommen hier noch zum Tragen?

Florian Tiemann: Hier ist insbesondere die technische Regel zum Umgang mit Gefahrstoffen 519 ‚Asbest‘, kurz TRGS 519, zu nennen. Diese sieht in ihrer aktuell überarbeiteten Fassung u. a. vor, dass künftig die aufsichtführende Person beim Einsatz sogenannter emissionsarmer Verfahren zumindest eine Qualifikation nach dem neu eingeführten Schulungsmodul Q1E nachweisen muss, wenn diese Person nicht über eine höherwertige Sachkunde nach Anlage 3 oder 4 der TRGS 519 verfügt. Emissionsarme Verfahren umfassen Tätigkeiten mit geringer Exposition gegenüber Asbestfasern, die behördlich oder von Trägern der gesetzlichen Unfallversicherung geprüft und anerkannt sind.

tab: Neben Asbest gibt es noch zahlreiche weitere Gefahrenstoffe. Was sollte hier allgemein beachtet werden?

Florian Tiemann: Allgemein sollte beachtet werden, dass es immer wichtiger wird, sich mit dem Thema ‚Gefahrstoffe‘ auseinanderzusetzen. Dies fängt beispielsweise bei der Freisetzung von mineralischen Stäuben an. Mineralische Mischstäube sind i. d. R. quarzhaltig. Quarzstäube besitzen eine vergleichbare gesundheitliche Gefährdung wie Asbest und werden mit der TRGS 559 thematisiert. Hier sind zudem Schutzmaßnahmen definiert.

tab: Wie gestaltet sich der weitere Ablauf bis zum Inkrafttreten der neuen Gefahrstoffverordnung?

Florian Tiemann: Der Entwurf muss nun durch das Bundeskabinett kommen. Erfolgt eine Zustimmung des Kabinetts, dann wird diese Fassung als Regierungsentwurf dem Bundesrat übermittelt. Die Bundesländer prüfen und beraten anschließen in Fachausschüssen über den Entwurf. Im nächsten Schritt wird der Gesetzesentwurf an den Bundestag weitergeleitet. Wenn der Bundestag das Gesetz beschließt und der Bundesrat diesem zugestimmt hat, ist das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren abgeschlossen. Das Gesetz wird veröffentlicht und tritt in Kraft.

Spätestens dann wird sich das allgemeine Verständnis und der Umgang mit Gefahrstoffen, insbesondere in der Baubranche, auf die neuen Anforderungen einstellen müssen. Hierfür bedarf es mehr Verständnis, Aufklärung, stetige Weiterbildung und Kontrolle aller am Bau Beschäftigten.

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