Das Prägende eines dreistündigen Arbeitskreises im Bundestag

Allmacht und Ohnmacht beim Bauen

Am 4. Mai 2015 ist das politische Berlin in bester Feierlaune. Ein großes Richtfest steht im Herzen der Bundeshauptstadt vor der Tür. Der Wiederaufbau des alten Berliner Stadtschlosses (Humboldtforum) zwischen Brandenburger Tor und Alexan­derplatz läuft nach Plan. Der Rohbau des auf 590 Mio. € veranschlagten Bauwerkes ist termingerecht fertig geworden und steht besenrein zur Feier bereit.

Der oberste Bauleiter des po­litischen Berlins, Architekt Manfred Rettig, führt eine Gruppe deutscher Bauprojektsteuerer über die Baustelle und versprüht Optimismus. Alles wird gut!
Dabei läuft es wie immer. Die TGA wird schuld sein, wenn das Bauwerk in 2020 mit über 1 Mrd. € Baukosten überteuert ist und zu spät bezogen werden kann. Das ist heute schon absehbar. Es arbeitet im fertigen Rohbau noch niemand an der TGA! Die Planung ist nicht fertig und damit sind die Ausschreibungen nicht auf dem Markt. Der überforderte TGA-Gesamtplaner musste vor kurzem erst aus dem Projekt entlassen werden; die rechtliche Maschinerie ist angeworfen. Leider war auf dem deutschen Markt kein großer Planer mehr verfügbar. Die großen öffentlichen Baumaßnahmen haben zu viele verschlissen.

Die Ingenieurgesellschaft Scholze gibt es nur noch als Thema im laufenden Untersuchungsausschuss des Berliner-Staatsoper-Baudesasters. Die Ebert-Ingenieure sind beim Bauen der neuen Arbeitsplätze für die Berliner BND-Mitarbeiter auf der Strecke geblieben. Dort baut der Bund nun schon fast zehn Jahre für jeden Geheimdienstmitarbeiter einen im Schnitt 350.000 € teuren Arbeitsplatz, statt für geplante 180.000 €. Nur die EZB in Frankfurt hat mit einer halben Million Euro pro Mitarbeiter noch mehr Geld ausgegeben. Auch dort waren die Planer Ebert und Scholze beteiligt. Und haben nicht auch beim Berliner Flughafen die Planer den öffentlichen Bauherrn durch Insolvenz im Stich ge­lassen?

In diesem Kontext fand am Nachmittag des 4. Mai im Bundestag eine gut dreistündige öffentliche Veranstaltung zum Thema der Kostensteigerun­gen bei Baugroßprojekten statt. Während sich die Regierungs­koa­li­tion seit fünf Jahren mit der Rettung Griechenlands befasst, den NSA-Skandal aufarbeitet und mit einer PKW-Maut für Ausländer den Schlaglochsoli für Führerscheininhaber zu verhindern sucht, wagt sich die grüne Opposition im Bundestag an eine grundsätzliche Betrachtung des öffentlichen Bauens.


Wer war dabei?

Dieses Wagnis wird mit der Präsenz auch von großen Publikumsmedien belohnt. Journalisten von ZDF, Spiegel, Die Zeit und ein ARD-Filmemacher sind dabei. Im Zuhörerkreis befinden sich neben Abgeordneten der Opposition auch der Haushaltsexperte des Bundes der Steuerzahler und einige Architekten, die sich bei ihren Wortmeldungen als Planer, Projektsteuerer oder Objektentwickler zu erkennen geben.

TGA-Planer melden sich keine zu Wort. Als Vertreter der TGA kann bestenfalls Jürgen Lau­ber, als einer der vier offi­ziel­len Vortragenden, gelten. Als gelernter Elektroingenieur für Automatisierungstechnik kennt er die TGA-Praxis aus dem Blickwinkel des Herstellers und System­integrators bzw. Anla­gen­bauers. Qualifiziert für eine Einladung hat ihn nicht sein TGA-Hintergrund, sondern seine Arbeit als Publizist gegen das BauUnwesen und damit für eine bessere Baukultur. Im Bundestag hat er zum Auftakt der Veranstaltung sein neuestes, kleines Buch „BauWesen: Besonderheit und Dynamik von Bauprojekten“ gezeigt und gab später einen Abschnitt aus seinem vor einem Jahr erschienenen Buch „BauWesen/BauUnwesen: Warum geht Bauen in Deutschland schief?“ zum Besten.

Lothar Fehn Krestas, ge­lern­ter Architekt und fachli­cher Leiter des Bundesamts für Bauwesen, war für das Thema Kostensteigerungen bei Bundes­bau­projekten der wichtigste Vortragende. Für das Thema „Good Gover­nance“ war Herr Dr. Lan­ter­mann von Transparence International eingeladen und die Sicht der Rechtsexperten mit Schwer­punkt Baurecht wurde durch Herrn Prof. Dr. Würfele abgedeckt. Seine Aussagen bekamen durch seine mehrjährige Erfahrung als angestellter Anwalt bei einem großen deutschen Baukonzern eine besondere Relevanz.


Interessante Kernaussagen

Prof. Dr. Würfele brillierte mit folgendem Satz: „Die Haustechnik geht aus meiner Sicht in der Planung immer daneben, das ist ja auch schwierig; ... am Ende kommt der Kernbohrer ...“. Seine sonstige Sicht der Planung war „Baubegleitendes Planen bedeutet Katastrophe hoch zehn. Wenn man baubegleitend plant, hat man Bauen echt nicht verstanden.“

Aus seiner Sicht sind unzureichende Planungen die Hauptursache für Kostensteigerungen. Die typische Empfehlung dieses Rechtsanwalts an die Politik lautet, vor Baubeginn alles gut fertig zu planen, nichts zu vergessen und nichts mehr zu ändern. Wenn es dann in der Praxis nicht gut klappen sollte, gibt es immer noch eine Lösung. Dazu stellte er sein neuestes 1000-seitiges Werk zum Nachtragsmanagement demonstrativ vor sich auf den Tisch und verwies auf zehn weitere Bücher, die er in seinem Metier schon geschrieben hat. Im Baurecht Bücher zu schreiben, muss sich lohnen. Dass er mit einem sicheren Absatz rechnet, zeigt diese Aussage: „Architekten haben den Schwerpunkt auf dem Entwurf. Sie wollen schöne Gebäude machen. Zur Leistungsbeschreibung habe 90 % schon keine Lust mehr. Manche finden nach zwei Jahren Bauleitung die Baustelle nicht.“ Zur Frage der strafrechtlichen Relevanz aus­ufernder Bauprojekte meinte er: „Mit vorsätzlich zu tiefem Budget loszubauen, führt rechtlich gesehen nicht zu einem Schaden; selbst wenn für 0,1 Mio. € geplant und für 100 Mio. € realisiert wird.“ Der zweite vortragende Rechtsanwalt Herr Dr. Lantermann stützte diese Aussagen voll. Wissentlich überteuert zu bauen, sei nicht strafbar. Die Regierenden müssten sich schon selbst anzeigen. Zitat: „... Die Hürden sind so hoch, dass bei der heutigen Gesetzeslage sich niemand der Haushaltsuntreue (durch tiefgerechnete) Budgetierung schuldig machen kann.“

Vom baufachlichen Leiter des Bundesamts für Bauwesen waren folgende Zitate sehr bemerkenswert. Sie standen im Kontext einer engagier­ten Diskussionsrunde. Dieser deutsche Spitzenbeamte sprach sehr offen und fundiert über die systematischen Fehlkonstellatio­nen beim öffentlichen Bauen in Deutschland. Was die große Reformkommission der Bundes­regierung von April 2013 bis Juli 2015 über das Bauen in Deutschland und seine Problemkreise herausfand, hätte der Regierung auch der oberste beamtete Baumeister Deutschlands schon vor vielen Jahren innerhalb einer Stunde sagen können. Aber was er sagt, ist politisch nicht gefragt, spricht aber sicher vielen Baufachleuten aus der Seele:

„Es lässt sich nicht alles regeln, auch wenn Vor­schrif­ten dicker und dicker werden! Es braucht Vertrauen. Es braucht mehr Ermessensspielraum. Die Einzelegoismen ruinieren den Markt. Wir haben ein falsches Anreizsystem.“

Die Vergabepraxis zeigt sich als der große Knackpunkt bei öffentlichen Bauprojekten. Das hat auch die große Reformkommission herausgefunden. Das Ministerium von Herrn Dobrindt hat daraus in einer kommunikativen Vorwärtsstrategie im Mai 2015 vollmundig gegenüber der Presse die zukünftige Richtung verlauten lassen: „Vergabe an den Besten – nicht an den Billigs­ten.“ Bisher schaffte es die öffentliche Hand nicht, gemäß der gültigen Haushaltgrundsätze, wirtschaftlich zu vergeben, das machte das Zitat des obersten Deutschen Baumeisters deutlich: „Die wirtschaftlichste Wahl ist per se nicht das billigste Angebot.“

Und nun will man es mit dem Superlativ „Der Beste“ als neues Vergabekriterium versuchen. Damit wären die regierenden Politiker als oberste Bauherren zumindest ehrlich und konsistent zur bisheri­gen Vergabepraxis. Für sie ist der beste Anbieter nämlich derjenige, der das niedrigste Angebot macht. So tief eben, dass es zum politisch tief angesetzten Baubudget passt.

MDB Lisa Paus trug als steuer­politische Sprecherin folgende Sicht der Parlamentarier bei: „Dreh- und Angelpunkt ist die Budgetfrage. Das fängt alles damit an, dass eben meistens alles unter­dimensioniert ist vom Budget her. Die Festlegung des Bud­gets passiert tatsächlich auf Vorlage der Regierung.“ Sicht­bar frustriert ergänzte sie: „Dann haben wir eben generell das Problem, dass wir eine Entscheidungsvorlage der Regie­rung haben, die wenig aus­sage­kräftig ist.“

Die Verzweiflung der Parla­men­tarier gegenüber der Intran­sparenz zeigt sich in der Frage des MDBs, ob das Parlament ein eigenes (Bau-)Ausschussekretariat braucht, um die Budget­vorlagen der Regierung zu prüfen.

Herr Fehn-Kostas erklärt zu diesem Thema, wie Entscheidungsvorlagen für Bauprojekte für das Parlament erarbeitet werden. Die Kosten basieren nicht auf einer realen Bauwerksplanung, sondern auf behörden­internen Flächenkosten­kennwerten, die einfach mit der Größe des Bauwerkes multipliziert werden.

Es ist also unwahrscheinlich, dass den Volksvertretern ein Dokument mit Rechenfehlern vorgelegt wird. Wenn die Zahlen nicht stimmen, waren die Kennwerte „falsch“, die Nutzungs­arten falsch oder es kamen eben später noch Flächen dazu.

So wie es aussieht, müssen unsere Volksvertreter also die Frei­gabe für prestigeträchtige Bau­projekte auf einer Berechnung machen, die auf dem Weg richtig gerechnet, aber im Ergebnis beliebig weit danebenliegen kann. Einfach zu schätzen, wäre schneller und richtiger.

Die Freigabe für das Bauprojekt durch Parlamente ist etwas, was üblicherweise als „Point of No Return“ bezeichnet wird. Jedes wirtschaftlich rechnende Unternehmen und jeder Privatmann wird versuchen, diesen kritischen Punkt so spät und mit so viel gesicherter Information wie möglich zu erreichen. Beim öffentlichen Bauen in Deutschland wird es nach den gülti­gen Verfahren genau um­gekehrt gemacht.

Wie ist das möglich und welche Folgen hat das?

Der Publizist Jürgen Lauber erklärte in seinem Vortrag „Kosten­illusion statt Kostenexplosion“, wie die gesamte staatliche Ordnung des Bauens von den regierenden Politikern sukzessi­ve darauf ausgerichtet wurde, unabhängig von parlamentarisch genehmigten Budgets der Parla­mente bauen zu können, was sie wollen, wie sie wollen, ohne jegli­che finanzielle Grenzen und ohne persönliche Risiken.

In Deutschland sind die regierenden Politiker die Allmächtigen des Bauens. Sie verordnen das Vergabe- und Baurecht. Indirekt über die VOB C bestimmen sie sogar, wie gebaut wird (Design/Funktion). Sie sind Chef der Bauaufsicht und der bauausführenden Behörden. Dazu können sie über die HOAI noch die Einkom­men der Planer/Architekten heben oder senken. Mit einer Stim­me Mehrheit bekommen sie jeden Nachtragshaushalt für Bauprojekte durch. Die Kosten­steige­rung ist damit demokratisch akzeptiert und rechtlich legitimiert („Persilschein“). Folgt das Parlament einem regierenden Politiker nicht, kann dieser zurücktreten und ist aller Ver­antwortlichkeit entledigt.

Eigentlich können Planer und Baufirmen ja froh sein, dass die regierenden Politiker das deutsche Bauwesen als Nachtrags­bau­wesen ausgestaltet haben. Es macht das Bauen teuer und kompliziert. Das sorgt für Mehr­umsatz.

Inzwischen braucht es diese indirekte Wirtschaftsförderung durch systematisch verpfuschte Bauprojekte nicht mehr. Deutsch­land hat mit seiner ver­al­teten Infrastruktur und den Heraus­forderungen der Ener­gie­wende mehr als genug sinn­volle und werthaltige Arbeit für alle.

Es ist an der Zeit, das Bauwe­sen in Deutschland auf die Zukunft hin auszurichten und die Phase des staatlich verordneten deutschen BauUnwesens hinter sich zu lassen.

Herr Dobrindt hat versprochen, auf der Basis des 100-seitigen Berichts der Reformkommission Großbauprojekte im Herbst im Bundeskabinett einen Vorstoß zu machen. Die Grünen wollen eine parlamentarische Initiative für ein besseres Bauwesen machen. Das gibt Hoffnung für alle, die heute beim Bauen zu viel Ärger und Frust haben.

Für einen tieferen Einstieg in die Thematik lohnt sich folgendes Video: www.bau-politik.de

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