Nahezu unbekannt: DIN CEN/TR 16355

Legionellenwachstum in Trinkwasser-Installationen verhindern

Seit 2012 gibt es den Technischen Report DIN CEN/TR 16355, der praxisnahe Tipps zu den Themen Flächentemperierung, Trinkwasser kalt und Verbrühungsschutz enthält. Er wurde im europäischen Rahmen erstellt. Doch noch immer ist er der deutschen Fachöffentlichkeit weitgehend unbekannt. Zu Unrecht, wie die nachfolgenden Ausführungen zeigen sollen.

Selbst 45 Jahre nach dem ersten kulturellen Nachweis von Legionella spec und 46 Jahre nach dem erstem großen Legionellenfall in Philadelphia ist das Thema Legionellose mit rund 3.000 Todesfällen pro Jahr in Deutschland noch immer aktuell. Allerdings haben sich die Schwerpunkte und Herausforderungen etwas verschoben: 1976 waren noch die Klimaanlagen des betroffenen US-amerikanischen Hotels im Fokus und später dann weltweit das Trinkwasser warm. Spätestens im Jahr 2013 gerieten dann mit dem Fall „Warstein“ (Legionellen in der Kläranlage einer Brauerei) verstärkt auch Verdunstungskühlanlagen in den Mittelpunkt des Interesses.

Thematisch hinzugekommen ist verstärkt auch die Problematik „Legionellen im Kaltwasser“ – nicht zuletzt durch die sehr warmen Sommer 2018 und 2019. Denn hohe Außentemperaturen erschweren die Temperaturbegrenzung im Trinkwasser kalt auf max. 25 °C sowohl für Wasserversorger als auch Gebäudeeigentümer. Die besonderen Herausforderungen im Trinkwasser kalt werden auch durch Architekten verursacht, die nach wie vor nur selten getrennte Schächte für warm- und kaltgehende Leitungen vorsehen, aber auch durch einige Planer, indem sie übergroße Ring-in-Ring-Installationen planen. Letztere können in der Praxis oftmals nur noch durch übermäßige Spülvolumina und/oder aktive Kühlung thermisch und damit hygienisch beherrscht werden. Hier ist ein Umdenken dringend geboten, denn ein solchermaßen selbstversursachtes Problem sollte nicht mit (Kühl-)Technik korrigiert, sondern an den wirklichen Ursachen angesetzt werden.

Risikofaktor temporäre sommerliche Temperaturen?

Zum Thema Legionellen im Kaltwasser erschien 2019 der DVGW Forschungsbericht W 201629. Er zeigte, dass sommerbedingt erhöhte Temperaturen im Kaltwasser nicht unmittelbar zu einer übermäßigen Vermehrung von Legionellen führen, wenn die Trinkwasser-Installation vorher im Hinblick auf Legionellen unauffällig war. Dieses Ergebnis kam für Praktiker und Mikrobiologen wenig überraschend, denn nur das zeitliche Nacheinander mehrerer Faktoren führt zu einer übermäßigen Vermehrung von Legionellen – und dies ist ein zeitintensiver Prozess, der sich in hygienisch einwandfreien Trinkwasser-Installationen erst nach vielen Tagen bis wenigen Woche einstellt.

Vor diesem Hintergrund kommt bei der Legionellenvorsorge vor allem den dauerhaften Temperaturüberschreitungen von 25 °C im Trinkwasser kalt eine besondere Bedeutung zu. Mit den nachfolgenden Auszügen aus der DIN CEN/TR 16355 = DIN SPEC 19810 wird daher ein besonderer Schwerpunkt auf diese Maßnahmen gelegt.

Gibt es eine Untersuchungspflicht im Trinkwasser kalt?

Diese Frage wird häufig gestellt und die Antwort lautet eindeutig „ja“. Sie findet sich u.a. im DVGW-Arbeitsblatt W551, 9.2 Weitergehende Untersuchung: … „Bei Hinweisen auf Erwärmung der Kaltwasserleitung sind auch an Kaltwasserentnahmestellen Proben zu entnehmen.“

Welchen Status hat ein Technischer Report?

Im Gegensatz zu Normen (DIN, DIN EN, DIN EN ISO etc.) haben DIN CEN/TR und DIN SPEC nicht den Status einer Deutschen Norm. „Ein TR ist ein Sachstandsbericht, der Erkenntnisse, Daten usw. aus Normungsvorhaben enthält, die der Information über den Stand der Normung – auch anderer internationaler und regionaler Normungsorganisationen – dient und der bei späteren Normungsarbeiten als Grundlage herangezogen werden kann.“ So das Zitat des Deutschen Instituts für Normung.

Ist eine DIN-Norm ein Gesetz?

„Nein“ – daher ist die Anwendung von DIN-Normen grundsätzlich freiwillig. Erst wenn Normen zum Inhalt von Verträgen werden oder wenn der Gesetzgeber ihre Einhaltung zwingend vorschreibt, werden Normen bindend.

RA Prof. Dr. Wilrich führte daher in den DIN-Mitteilungen 02/2021, S. 28 bis 29 folgendes aufgrund eines Verstoßes mit Todesfolge gegen die allgemein anerkannten Regeln der Technik (a.a.R.d.T.) aus (OLG Düsseldorf, AZ. 10 W 235/16): „…strafrechtlich relevant sind nur Verstöße gegen Rechtspflichten, (DIN-)Normen sind aber rechtlich nicht zwingend. Das Gericht hätte zumindest kurz das Stichwort „Verkehrssicherungspflicht“ erwähnen und begründen können, dass (DIN-)Normen bei der Bestimmung des Inhalts dieser Sicherungspflicht … herangezogen werden.“ Das heißt, dass (DIN-)Normen nur durch vertragliche Festlegungen oder bei rechtlichen Auseinandersetzungen über „juristische Umwege“ bindend werden.

Was heißt „sollte“ in einer Norm?

Auch für das fachgerechte Schreiben einer Norm gibt es eine Norm. In Deutschland ist dies die DIN 820. In der DIN 820-2, Anhang H, Tabelle H.2 sind solche Begriffe aufgeführt. Das Verb „sollte“ wird dann angewendet, wenn bei mehreren Möglichkeiten eine besonders empfohlen wird. Damit sind andere Möglichkeiten, die zum selben Schutzziel führen, nicht ausgeschlossen; im Zweifelsfall liegt jedoch die Beweislast beim Anwender.

Bedingungen für Legionellen und Abhilfemaßnahmen

In der DIN CEN/TR 16355 werden drei Faktoren für eine übermäßige Vermehrung von Legionellen aufgeführt:

„Wassertemperaturen zwischen 25 °C und 50 °C, Stagnation des Wassers, Nährstoffe, Biofilm, Sediment innerhalb der Installation, einschließlich Wassererwärmern usw.“

Anschließend werden zugehörige Abhilfemaßnahmen beschrieben: max. 25 °C im Trinkwasser kalt, mindestens 55 °C in jedem Zirkulationskreis mit Trinkwasser warm, ein bestimmungsgemäßer Betrieb und regelmäßiges Entfernen von Sedimenten. Auch der Verbrühungsschutz ist zu beachten.

Äußere Einflüsse auf die Temperaturen

Einen besonderen Schwerpunkt legt die Technische Regel DIN CEN/TR 16355 – und damit auch dieser Beitrag - auf den Einfluss von Umgebungsbedingungen auf die Temperaturen im Trinkwasser warm und kalt. In erster Linie wird eine fachgerechte Dämmung gefordert, wie sie für Deutschland in der DIN 1988-200, Tabellen 8 und 9, aufgeführt ist. Es wird aber auch erläutert, dass eine Dämmung lediglich die Abkühlung bzw. Aufwärmung des warmen und kalten Trinkwassers verzögert, „…aber keinen Einfluss auf die Endtemperatur…“ hat.

Diese Erkenntnis hat in wenigen Regelwerken bereits Berücksichtigung gefunden, sodass bestimmte Leitungen demnach nicht zu dämmen sind. Hier führt z. B. das österreichische Regelwerk ÖNORM B 5019 für Warmwasserleitungen ohne Zirkulation an: „Bei Verlegung im Mauerwerk ist ein Schutz vor mechanischer und chemischer Beschädigung der Rohrleitung mit möglichst geringem Dämmwert vorzusehen.“ Diese seit mehreren Jahren bekannte Forderung ist für viele Fachleute in Deutschland noch neu.

Was empfiehlt DIN CEN/TR 16355?

„Um das Aufwärmen des Wassers in den Kaltwasserleitungen und das langsame Abkühlen in Warmwasserleitungen, die nicht Bestandteil eines Zirkulationssystems sind (…Einzelzuleitungen…), auf ein Mindestmaß zu verringern, sollten diese Leitungen nicht gedämmt werden.“ Diese Forderung der DIN CEN/TR 16355 dient dazu, durch schnelle Abkühlung des Trinkwassers warm in einer Stichleitung den Temperaturbereich für eine übermäßige Vermehrung von Legionellen zwischen ca. 30 °C und 45 °C zügig zu durchschreiten. Diese schnelle Wärmeabfuhr kann ebenfalls gegen eine übermäßige Erwärmung des Trinkwassers kalt in Stichleitungen schützen.

Trinkwasserleitungen kalt nicht in Räumen und Baukörpern mit mehr als 25 °C

DIN CEN/TR 16355 empfiehlt: „Kaltwasserleitungen und Endstränge von Warmwasserleitungen, die nicht Bestandteil eines Zirkulationssystems sind, sollten nicht in Räumen, an Stellen oder in Bauwerken mit einer Temperatur von mehr als 25 °C angeordnet werden und sollten von Wärmestrahlungsquellen oder Stellen, an denen die Temperatur zu bestimmten Zeiten mehr als 25 °C betragen kann (z. B. unterhalb von Glaskuppeln, in Technikräumen und Messkammern/-kästen mit Wärmequellen), ferngehalten werden. Im Fall von Fußbodenheizungen sollten Trinkwasserleitungen nicht in Decken oder Fußböden angeordnet werden, es sei denn, sie sind angemessen gedämmt.“

Empfehlungen zum Umgang mit äußeren Einflüssen auf das Kaltwasser

Im informativen Anhang D von DIN CEN/TR 16355 finden sich einige Empfehlungen, um die Trinkwasser-Installation kalt vor Erwärmung zu schützen. In Abbildung 1 wurde bereits die getrennte Verlegung von warm- und kaltgehenden Leitungen in getrennten Schächten dargestellt. Abbildung 4 zeigt die Mindestanforderung an die Anordnung der Rohrleitungen in einer abgehängten Zwischendecke gemäß der Regel: kalt unten, warm oben, bei maximal möglichem Abstand.

Flächenheizungssysteme und Trinkwasser kalt

Flächentemperierungssysteme wirken sich positiv auf die Energiebilanz von Gebäuden aus. Sie können die Grundlasten in modernen Gebäuden abdecken und zum Heizen und Kühlen verwendet werden.

Gemäß GEG Anlage 8.1.b gibt es keine Dämmpflicht für Anbindeleitungen. Auch wenn „…Trinkwasserleitungen kalt nicht in einen Fußboden mit Fußbodenheizung oder eine Wand mit Wandheizung eingebaut werden“ sollten, lässt sich dies nicht immer vermeiden. DIN CEN/TR 16355 empfiehlt in diesen Fällen folgende Grundregeln:

1.) Es sind Mindestabstände zwischen Trinkwasser kalt und der Flächentemperierung einzuhalten,

2.) Trinkwasser kalt und die Anbindeleitung sollten sich nicht kreuzen. Ist dies unvermeidbar, müssen beide Leitungen gedämmt werden.

Weiterhin wird darauf hingewiesen, dass Trinkwasserleitungen kalt nicht hinter Heizkörpern verlegt werden sollten.

Gastkommentar

Wärmelasten und Trinkwasserhygiene

Bei den inneren Wärmelasten in Gebäuden gilt es zunächst zwischen Altbauten (Gebäudebestand) und Neubauten sowie zwischen den unterschiedlichen Heizsystemen und Heizlasten zu unterscheiden. Im Neubau kommt mit Priorität die Niedertemperatur Systemtechnik (Flächenheizung) zum Einsatz, wogegen im Altbau Hochtemperatursystemtechnik (Heizkörper) zu finden sind. Bei einer Kaltwasserleitung, die z. B. ohne Dämmung neben einer Heizungsleitung mit hohen Temperaturen verläuft, besteht immer die Gefahr, dass die zulässige Grenztemperatur von 25 °C überschritten wird.

Bei modernen Flächentemperierungssystemen ist diese Gefahr geringer, da sich aufgrund der geringeren Heizlasten bei Neubauten und der energetischen Altbausanierungen nur noch Heizmitteltemperaturen von 23 bis 25 °C selbst bei tiefster Außentemperatur einstellen. Doch grundsätzlich sollte aufgrund von Temperaturspitzen auch bei Flächentemperierungssystemen die Trinkwasserleitungen kalt möglichst räumlich getrennt von dieser verlegt werden. Es ist also kontraproduktiv, Trinkwasserleitungen kalt in gleicher Ebene ohne Abstand auf der Wärme- und Trittschalldämmung neben einer Heizungsleitung zu verlegen. Nur wenn es nicht zu umgehen ist, eine kalte Trinkwasserleitung auf der statischen Deckenkonstruktion mit einer Fußbodenheizung zu verlegen, ist diese möglichst unterhalb der Wärme- und Trittschalldämmung als gedämmte Leitung anzuordnen.

Tipp: Für die fachgerechte Planung und Ausführung von Flächenheizungen hat der Bundesverband Flächenheizungen und Flächenkühlungen e. V. gemeinsam mit zwei weiteren Verbänden das technische Merkblatt „Lage des Verteilers und Verlegung von Anbindeleitungen bei Fussbodenheizungen“ herausgegeben. Dieses kann kostenfrei unter folgendem Kurzlink abgerufen werden: www.bit.ly/Merkblatt-FBH

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