Nachverdichtung mit Holzmodulen

SDE: Team MIMO bildet aus gestapelten Tiny Houses eine WG

Unter dem Motto „Minimal Impact – Maximum Output“ (MIMO) wird ein gründerzeitliches Industriegebäude und heutiges Tanzhaus energetisch saniert und um eine Wohnnutzung aufgestockt. Das Wuppertaler Quartier Mirke ist Standort der Nachverdichtung und zugleich Schauplatz des Finales des Gebäudeenergiewettbewerbs Solar Decathlon Europe 2021 (SDE 21/22). Dessen deutsche Projekte stellt die tab in einer Serie vor. Hier der zweite Beitrag.

Das interdisziplinäre Team der Hochschule Düsseldorf (HSD) beschäftigt sich mit der ganzheitlich ressourceneffizienten Nachverdichtung urbaner Quartiere. Ganzheitlich bedeutet die Weiternutzung und Revitalisierung des Gebäudebestands, kreislaufgerechte Konstruktionen und Materialverwendung, den Einsatz recycelter, ökologischer und wiederverwertbarer Materialien, sozialnachhaltige Aspekte im Sinne von Gemeinschaft und Teilhabe sowie die Nutzung lokaler, erneuerbarer Energien zum Ausgleich der Gebäudeenergie- und Ökobilanz.

Visualisierung der DesignChallange
Bild: Team MIMO

Visualisierung der DesignChallange
Bild: Team MIMO

Das Gebäudekonzept – die sog. DesignChallenge

Konkretes Thema des Team MIMO ist die Sanierung und Aufstockung eines Lagerhauses aus dem Jahr 1905, das heute das überregional bekannte Café Ada beherbergt. Gemäß dem o.g. Leitbild wird mittels Aufstockung ein Mehrwert für das Quartier geschaffen. Dieser besteht vor allem in Wohnraumalternativen zu den überwiegend großen Wohnungen des Gründerzeitquartiers. In der Aufstockung ermöglichen 15 über drei Geschosse gestapelte, vorproduzierte Vollholz-Wohnmodule durch digitale Planungs- und Produktionstechniken ein konsequent nachhaltiges Materialkonzept sowie geringe Bauzeiten und eine Minimierung der mit dem Bau verbundenen Emissionen vor Ort. Es wird privater Wohnraum für 33 Menschen in vier verschiedenen Wohnungsschnitten bereitgestellt. Durch Versatz und Drehung der Module sowie eine darüber gestülpte sog. Klimahülle entstehen Zwischen- und Lufträume, die die Erschließung, aber vor allem gemeinschaftlich genutzte Co-Working-Bereiche, Gästezimmer, Lounges und einen urbanen Dachgarten aufnehmen. Der im Sinne der Suffizienz reduzierte private Wohnraum (ca. 20 m² Wohnfläche/Person) wird im Prinzip des „wer teilt, hat mehr“ erweitert.

Das Energiekonzept von Bestand, Aufstockung und Quartier

Das Team MIMO hat sich zum Ziel gesetzt, den Energiebedarf in allen Gebäude- und Wohnbereichen zu minimieren. Dies mündet in einer Mischung aus Low-Tech-Strategien und sorgfältiger Integration gebäudetechnischer Komponenten. Die Klimahülle stellt einen wesentlichen Baustein im Gesamt-Energiekonzept dar. Glas-Lamellen in der Fassade und Dachfenster erwirken einen thermischen Pufferraum (solare Wärmegewinne). Eine sensorbasierte Regelung wägt Raumtemperatur, Luftfeuchte und CO2-Gehalt gegenüber äußerer Witterung, solarer Einstrahlungswinkel sowie Schattenwurf ab und steuert über die Öffnung die natürliche Klimatisierung (Lüftung, passive Kühlung). Eingebettete PV-Zellen sorgen für Stromertrag und Schattenwurf, wobei ihre Anordnung hinsichtlich Ein- und Ausblicken sowie Tageslichteinfall abgestimmt ist.

Das Prinzip des energiBUS als thermisches Gesamtkonzept
Bild: Team MIMO

Das Prinzip des energiBUS als thermisches Gesamtkonzept
Bild: Team MIMO

Im Sinne des Gemeinschaftsprinzips koppelt das sog. „energiBUS“ Haushaltsgeräte über eine intelligente Wärmeverteilung mit zentralen Wärmespeichern und der Wärmepumpe samt Eisspeicher. Während die Wärme auf niedrigem Temperaturniveau z. B. den Kühlschränken entzogen wird, steht diese den Wärmeverbrauchern wie der Waschmaschine auf höherem Temperaturniveau zur Verfügung. Hierzu werden Waschmaschinen, Trockner oder Gefrierschränke zentral und nicht in den Wohnungen aufgestellt und kommen ohne eigene Wärmepumpe aus. Neben reduzierten Anschaffungskosten (Suffizienz) ergeben sich Stromeinsparungen von 30 % im Gesamtsystem (Effizienz). Um die Wärmeverteilung maximal auszuschöpfen, ist bspw. auch das Kühlhaus des Cafés angebunden.

Simulationen ergeben eine nicht ausgeglichene Jahresenergiebilanz. Über weitere PV-Anlagen auf einer Raumstruktur im Außenbereich und dem Flachdach eines gegenüberliegenden Wohngebäudes erfolgt eine Wechselwirkung mit dem Quartier. „Energetische Parasiten“ in Form dezentraler BHKWs ermöglichen in umliegenden, denkmalgeschützten und energetisch schwerlich zu sanierenden Gründerzeitgebäuden eine Energieeffizienzsteigerung und lokale Stromerträge.

Die reale Umsetzung der sog. House Demonstration Unit (HDU)

Für das Wettbewerbsfinale in Wuppertal wird das Konzept als sog. HDU mit Partnern in Kleinformat umgesetzt. Drei leimfreie Vollholz-Module werden von der Klimahülle samt öffenbarer Lamellen und Dachfenstern umgeben. Hierin sind polykristalline PV-Zellen mit einer Gesamtleistung von 8,2 kWp mittels hochtransparentem Mehrkomponentengel dauerelastisch als BIPV eingebettet. Während des Wettbewerbsfinales dürfen max. 3 kWp zum Einsatz kommen. Ein Wechselrichter fasst die 10° geneigten ost- und westwärts orientierten Dachflächen über zwei MPP-Tracker. Gleiches gilt für die PV in Ost- und Westfassade, während 0,67 kWp in der Südfassade als sog. Balkonanlage mit einem Microwechselrichter mit dem zentralen Management System verbunden ist. Hieran ist ein 5 kWh Batteriespeicher angebunden (im Wettbewerb auf 2,5 kWh reduziert). Der Ertrag von 4.525 kWh/a gleicht den Gesamtstrombedarf von 3.062 kW/a inkl. Nutzerstrom und E-Mobilität in der Jahresbilanz mehr als aus.

Visualisierung der HDU des Team MIMO
Bild: Team MIMO

Visualisierung der HDU des Team MIMO
Bild: Team MIMO

Der energiBUS wurde an der HSD für die Umsetzung weiterentwickelt. Neben einer Luft-Wärme-Pumpe (6 kWth) kommen ein 250 l Kältespeicher und ein 2 x 250 l Wärmespeicher zum Einsatz und stellen Wärme und Kälte für die Haushaltsgeräte, Warmwasserstationen und Heizung bereit. Die Wärmeübergabe in den Wohnmodulen erfolgt über Wandflächenheizungen mit einer Heizleistung von 70 
W/m², die in Lehmbauwände der Badkerne eingelassen sind. Im Gemeinschaftsbereich der Klimahülle bilden Fußbodenheizung (130 W/m²) und Vorhänge Wärmeinseln mit unterschiedlichen Temperaturniveaus. Alle (Wärme‑)Verbraucher und PV-Anlagen werden über das Lastmanagement mit Wärme- sowie Batteriespeicher verknüpft, um die Eigenbedarfsdeckung und ‑ertragsnutzung zu optimieren.

Ausblick

Aktuell laufen die Vorarbeiten für die HDU auf Hochtouren. Beim Wettbewerbsfinale im Juni 2022 wird sich herausstellen, ob alle Komponenten in dem von Studierenden entwickelten Gesamtsystem zusammenfinden und neben positiver Energiebilanz eine hohe Energieeffizienz und angemessenen Innenraumkomfort ermöglichen. Weitere Informationen unter www.sde21.eu/de/ und der Teamseite MIMO.

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