Natürliche Kälte statt Klimaanlage

Die Industrie- und Handels­kammer zu Kiel ist neben ihrer hoheit­lichen Aufgabe der Berufsbildung eine Dienst­leistungs­insti­tution gegenüber den Unternehmen in der Region. Vor diesem Hintergrund wurde entschieden, in unmittelbarer Nähe zu den neben ihren 1954 gebauten und unter Denkmalschutz stehenden Bestandsgebäuden das neue „Haus der Wirtschaft“ mit rund 100 Büroarbeitsplätzen sowie flexiblen Konferenz-, Foyer- und Ausstellungsflächen zu errichten. Ziel der Raumkonzeption war es, eine möglichst hohe Kundenorientierung zu gewährleisten, den Informationsfluss zu verbessern, Räume etwa für Informationsveranstaltungen und Einzelberatungen zu schaffen und eine noch höhere Dienstleistungsqualität der IHK sicherzustellen.

Das Energiekonzept

Für das vom Architekturbüro Kauffmann, Theilig & Partner in Stuttgart entworfene Gebäude wurde von Transsolar ein Energiekonzept entwickelt. Wesentliche Bestandteile daraus sind die Nachtluftspülung sämtlicher Büros über automatisch öffnende Fensterklappen in der Außenfassade, im Zusammenwirken mit der Thermik des Luft­raums und Abluftöffnungen in dem darüber liegenden Glasdach.

Die offenen Stahlbetondecken wirken als latenter Energiespeicher. Weiterhin verfügt das Ge­bäude über Bauteilkühlungen des Foyers sowie der obersten Geschossdecke, mittels in den Beton eingelegter, Wasser führender Leitungen. Die Kälteerzeugung wird über Erdabsorber der Bodenplatte und der erforderlichen Bohrpfahlwand der Baugrubensicherung gewährleistet, so dass im gesamten Gebäude keine Kältemaschinen notwendig sind. Auch die mechanische Zuluft zu den Versammlungsräumen wird über diese Quelle bei Bedarf gekühlt. Durch dieses Konzept werden natürliche Ressourcen genutzt, um die Arbeitsplatzqualität und Raumkonditionen der Konferenzbereiche zu optimieren.

Schnittstellen­bewäl­tigung

Das Gebäudekonzept berücksichtigt, neben den städtebaulichen, gestalterischen und funktionalen Belangen, die Anforderungen aus der interdisziplinären, also Schnittstellen übergreifenden Arbeitsweise von Architekten und Ingenieuren, wie sie bei heutigen Bauleistungsanforderungen unumgänglich ist. Das Lüftungs- und Klimakonzept basiert primär auf der Nutzung natürlicher Ressourcen, wie Tageslicht und kühler Nachtluft. Dabei fungiert die Nachtluftspülung, d.h. die Durchlüftung des Gebäudes im Sommer mit kühler Nachtluft, als Abkühlung der Gebäudemas­sen, wobei das zentrale Atrium zum natürlichen Antrieb der nächtlichen Durchlüftung genutzt wird. Dies erfolgt durch die im Dach befindlichen geregelten und motorisch gesteuerten, gesetzlich vorgeschrieben, RWA-Klappen (Rauch- und Wärmeabzugs-Klappen), die auch zur Lüftung genutzt werden.

Glasfassade mit integrierter Antriebstechnik

In der gläsernen Außenfassade befinden sich ebenfalls motorisch zu öffnende Lüftungsflügel. Die Steuerungs- und Antriebstechnik sowohl für die RWA-Klappen im Dach wie auch für die Lüftungsklappen in der Fassade lieferte STG-Beikirch, der damit einen Doppelnutzen für die ansonsten nur als Kostenfaktor bei der Bauplanung angesehene RWA bietet. Gleichzeitig wird nach den Erfahrungen der Klimaexperten durch die natürliche Belüftung eine qualitative Verbesserung erreicht. Das, was bisher gemessen wurde, belegt, dass mit der natürlichen Lüftung eine höhere Luftqualität im Innenraum erreicht wird, als durch die Filteranlagen einer Klimaanlage, da diese nach Praxiserfahrungen nur selten mit Aktiv-Kohlefiltern oder Partikelfiltern ausgestattet werden. 

 

Info
Das Haus der Wirtschaft wurde mit dem Landespreis für „zukunftsweisendes Bauen in Schleswig-Holstein“ ausgezeichnet.
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