Mehrwerte für Mensch und Natur

SDE: Abwasser-WP, organische PV, Solarkamin und Wasservorhang

Im Rahmen des Solar Decathlon Europe 2021 (SDE 21/22), dessen deutsche Projekte die tab in einer Serie vorstellt (hier der vierte Beitrag), hat sich das Team coLLab aus Stuttgart für die Aufstockung und Renovierung eines bestehenden Gebäudes auf dem Campus der eigenen Hochschule entschieden, dem sogenannten „Bau 5“. Der gewählte Standort befindet sich direkt in der Stuttgarter Innenstadt. Die Sanierung des Bestands trägt zur Senkung des Energiebedarfs, aber auch zur Verbesserung der Raumqualität und Behaglichkeit bei. Eingesetzt wird u.a. eine Abwasser-WP, eine organische PV-Technologie, ein Solarkaminsystem sowie ein Wasservorhang zur Gebäudekühlung.

Die Teambezeichnung coLLab leitet sich von kollaboratives Labor ab. Ziel des interdisziplinären Teams von Studierenden der HFT Stuttgart ist es, neue Formen des kollektiven Wohnens in urbanen Situationen auf kleinen Flächen zu schaffen. Darüber hinaus soll mit dem Konzept ein modulares System für eine Aufstockung entwickelt werden, das eine Symbiose mit dem bestehenden Gebäude eingeht und sich an bestehende Strukturen anpasst.

Projekt „Bau 5“

Für die Aufstockung werden modulare Wohnelemente auf den Bestand aufgesetzt. Wandpaneele werden so platziert und aneinandergereiht, dass ein- oder zweistöckige Wohnungen für ein bis drei Personen entstehen. Um Abwechslung zu schaffen und den Block aufzulockern, lassen sich die einzelnen Module im Raster zueinander verschieben. So kann zudem eine Zonierung und private Adressierung geschaffen werden. Die Innovation des Entwurfs besteht darin, ein flexibles und anpassungsfähiges System zu entwickeln, das auf minimaler Fläche hochwertigen Wohnraum schafft und in Symbiose mit seiner Umgebung steht. Dadurch können bisher ungenutzte Dachflächen genutzt werden und es entsteht zusätzlicher Wohnraum auf bereits versiegelter Fläche. Gerade in dicht besiedelten Städten wie Stuttgart ist dies eine gute Lösung, um den Wohnungsmangel zu verringern. Das modulare System der Aufstockung auf Basis einer Holzständerbauweise wurde dabei so konzeptioniert, dass es nicht nur auf dem gewählten Bau 5 funktioniert, sondern auch auf ähnliche bestehende Strukturen angepasst und übertragen werden kann. Für die Umsetzung ist nicht nur das Gebäude im Fokus, sondern auch die direkte Umgebung. Dabei wurde u. a. auch ein Mobilitätskonzept mit Sharing-Angeboten erstellt.

Technikkonzept

Besondere Aufmerksamkeit wurde bei der Integration der Solaranlagen in das Konzept gelegt. Aus architektonischer Sicht werden diese nicht versteckt, sondern bestimmen die Ästhetik des Gebäudes und haben gleichzeitig mehrere technische Funktionen. An der Fassade und auf dem Dach im Bereich der Gemeinschaftsflächen wird eine innovative organische Photovoltaik-Technologie (OPV) mit einzelnen, rautenförmigen OPV-Zellen eingesetzt.

Die optimale Platzierung der einzelnen OPV-Zellen an der Fassade wurde dabei mit einer eigens entwickelnden parametrischen Simulationsmethodik ermittelt. Neben der Energieerzeugung werden dabei auch die Beschattung der Fenster im Sommer (sommerlicher Wärmeschutz) und gleichzeitig die Durchlässigkeit der Strahlung für solare Wärmegewinne im Winter berücksichtigt. Das System ist darüber hinaus auf einen hohen Eigenverbrauch optimiert; entsteht ein Überschuss an Strom, wird dieser in die Batterie zur späteren Nutzung eingespeist.

Für das Heizsystem wird auf Abwasser-Wärmepumpen gesetzt, die heizenergiebedarfsgesteuert betrieben werden. So kann auf große Pufferspeicher verzichtet werden. Zwei Wärmepumpen arbeiten parallel. Bei kleineren Lasten läuft nur eine Wärmepumpe, bei höheren Lasten sind zwei Wärmepumpen in Betrieb. Da die Temperatur des Abwassers das ganze Jahr über konstant bei ca. 12  °C liegt, kann selbst an kalten Tagen mit hoher Last eine Leistungszahl von etwa 7 erreicht werden. Die Spitzenlasten werden durch die vorhandene Fernwärme abgedeckt. Für diese Auslegung wurde eine parametrische Studie mit unterschiedlichen Wärmepumpen- und Batteriespeicherkapazitäten durchgeführt. Die Ergebnisse wurden im Hinblick auf die CO2-Emissionen über den Lebenszyklus und im Betrieb verglichen.

Das Low-Tech-Lüftungssystem für den Renovierungsteil des coLLab-Projekts besteht aus dezentralen Fensterfalzlüftern, die ganzjährig einen hygienischen Luftwechsel gewährleisten. Die Lüftung des Gebäudes wird durch den Einsatz eines Solarkamins zusätzlich unterstützt, der sich den natürlichen thermischen Auftrieb zu Nutze macht. Innerhalb des Solarkamins ist ein Luft-Wasser-Wärmeübertrager angebracht, der über ein Wärmerückgewinnungssystem die Zuluft vorkonditionieren kann. In den Nebenzeiten und im Sommer wird der Wärmeübertrager im Solarkamin überbrückt und die natürliche Lüftung verstärkt. Die nicht tragenden Säulen der Fassade des Bestandsgebäudes werden durch vertikale Lüftungsklappen ersetzt, die eine nächtliche Frischluftspülung ermöglichen.

In der Aufstockung wird mit einer Querlüftung über automatisierte Fensterflügel ein ausreichender Luftwechsel sichergestellt. Im Sommer lässt sich die Zuluft zusätzlich mit einem Wasservorhang aus schmalen Nylonfäden vor dem Fenster adiabatisch kühlen.

Bei der Umsetzung des Beleuchtungskonzepts und der Elektroinstallation wurde beachtet, dass alle Kabel an der Oberfläche verlegt werden, um einerseits Material und Platz für die Installationsebene zu sparen, andererseits flexibel auf neue Raumnutzungen oder Anforderungen reagieren zu können und Wartungsarbeiten sowie einen sortenreinen Rückbau zu ermöglichen.

Für den Wettbewerb

Für die Demonstrationswohneinheit (HDU) werden Elemente aus der Planung von Bau 5 übertragen. Beim Fassadensystem wird für die HDU die Verteilung und Größe der OPV-Zellen entsprechend den klimatischen Bedingungen in Wuppertal angepasst. Der Solarkamin des Energiekonzepts ist an der Westfassade der HDU angebracht und auf dieser Seite komplett verglast.

Für die HDU wurde auch eine Ökobilanz berechnet. Der Heizwärmebedarf für die HDU beträgt laut Simulation ca. 34 kWh/(m2·a). Es wird angenommen, dass zur Deckung des Wärmeenergiebedarfs eine Sole/Wasser-Wärmepumpe mit einem COP von 3,5 verwendet wird. Die CO2-Äquivalente aus den anderen Lebenszyklusphasen wurden im Rahmen der Nachhaltigkeitsbetrachtung ermittelt. Mit den getroffenen Annahmen beträgt der gesamte CO2-Fußabdruck des Demonstrationsgebäudes ca. 45.000 kg CO2 auf 50 Jahre.

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