Kalte Nahwärme als Quartierslösung

Vorteile und Planungsaspekte für Kalte Wärmenetze

Kalte Nahwärmenetze mit Wärmepumpen als Abnehmer in den Gebäuden ermöglichen die Nutzung von nachhaltigen Wärmequellen auf geringem Temperaturniveau und bilden die Grundlage zur emissionsfreien Versorgung von Quartieren.

Wärmenetze decken heute bereits rund 10 % des deutschen Wärmebedarfs. Für das Gelingen der Wärmewende ist es erforderlich, auch diese Art der Wärmeversorgung zu dekarbonisieren. Die Verbreitung von Wärmenetzen ist in EU-Ländern mit hoher erneuerbarer Wärmeerzeugung wie Schweden oder Dänemark besonders stark. Auch für Deutschland wird ein Ausbau der Wärmeversorgung aus Wärmenetzen auf etwa 20 % erwartet. Dabei geht es in der Regel um Ballungsräume - bspw. in Hannover: Hier wird aktuell für neun Stadtteile eine Fernwärmesatzung diskutiert, die Gebäudeeigentümer bei wesentlichen Änderungen an der Heizungsanlage verpflichtet, das Fernwärmenetz zu nutzen. Einer der wichtigen Hintergründe ist, dass Fernwärmenetze schneller dekarbonisiert werden können als viele individuelle Einzellösungen. Allerdings werden Wärmenetze aktuell meist noch von fossilen Wärmeerzeugern gespeist (Wärmenetze der ersten bis dritten Generation und teilweise auch vierten Generation). Bild 1 gibt einen Überblick über die Entwicklung von Wärmenetzen1.

Rückblick

Die ersten Wärmenetze weltweit wurden bereits im 19. Jahrhundert errichtet und nutzten kohlebasierte Dampfkessel, die Wärmeverteilung erfolgte über Dampfnetze. Mit fortschreitender Entwicklung wurden die Systemtemperaturen kontinuierlich reduziert und effizientere Wärmeerzeuger eingesetzt. Für die überwiegend bis 1980 errichteten Wärmenetze sind Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen (KWK-Anlagen) als Wärmeerzeuger und Temperaturen über 100 °C typisch, während in den darauffolgenden Wärmenetzen der dritten Generation Kunststoffmantelrohre verwendet wurden und die Systemtemperaturen häufig bereits unter 100 °C liegen. Für KWK-Anlagen konnte durch den ständigen Wärmebedarf des Netzes eine effizientere Brennstoffnutzung, bei gleichzeitiger Stromerzeugung, erzielt werden.

Höhere Effizienz durch niedrige Netztemperaturen

Die seit der Jahrtausendwende errichteten Wärmenetze der vierten Generation arbeiten mit Systemtemperaturen zwischen 30 und 70 °C. In vielen Fällen handelt es sich um Nahwärmenetze, die von Blockheizkraftwerken und Gaskesseln versorgt werden. Das gasbefeuerte Blockheizkraftwerk bedient die Grundlast, der Gaskessel die Spitzenlast. Durch die im Vergleich zu den Wärmenetzen vorhergehender Generationen relativ niedrigen Systemtemperaturen eignen sich diese Netze bereits gut für die Wärmebereitstellung durch Wärmepumpen, Abwärme oder andere erneuerbare Wärmequellen.

Grundsätzlich gilt: Je niedriger die Systemtemperaturen, umso effizienter das System. Hohe Temperaturen bedeuten automatisch höhere Leitungsverluste, da der Temperaturunterschied zwischen Wärmenetz und Umgebung relativ hoch ist. Neue Nahwärmenetze, Wärmenetze der fünften Generation, werden daher als „Kalte Nahwärmenetze“ aufgebaut: hier liegen die Systemtemperaturen deutlich unter 30 °C. Anders als in den klassischen Wärmenetzen ist die Wärme nicht direkt nutzbar, sondern wird von dezentralen Wärmepumpen in den anhängenden Gebäuden genutzt, um Wärme auf dem gewünschten Temperaturniveau bereitzustellen. Somit verlagert sich die Quellenerschließung für die Wärmepumpe von den dezentralen Einheiten weg, hin an den Anschluss an das Kalte Nahwärmenetz. Als Wärmequellen für das Kalte Nahwärmenetz kommen z. B. Geothermie, Grundwasser oder Abwärme in Frage. Durch solche Nahwärmenetze werden zudem Wärmequellen wie große Abwasserkanäle oder industrielle Abwärme attraktiv, deren Erschließung für Einzelobjekte häufig technisch oder wirtschaftlich nicht sinnvoll ist. In Bild 2 ist der Systemaufbau eines Kalten Nahwärmenetzes dargestellt.

Geringe Betriebskosten durch niedrige Systemtemperaturen

Ein wesentlicher Vorteil Kalter Nahwärmenetze sind die niedrigen Systemtemperaturen, die je nach Wärmequelle üblicherweise zwischen 0 und 20 °C liegen. Entsprechend dem vorhandenen Temperaturniveau kann damit einhergehend ggf. die Dämmung des üblicherweise eingesetzten Kunststoffmantelrohres entfallen. Ein positiver Nebeneffekt der dann nicht vorhandenen Dämmung ist, dass zusätzliche Wärmeeinträge in das Rohrnetz aus dem umgebenden Erdreich genutzt werden können.

Gegenüber dezentralen Sole/Wasser-Wärmepumpen-Anlagen mit jeweils eigener Quellenerschließung (über Bohrungen oder Flächenkollektoren), bieten Kalte Nahwärmenetze Kostenvorteile durch die gemeinsame Erschließung der Wärmequelle sowie die Berücksichtigung von Gleichzeitigkeiten im Wärmebedarf. Das bedeutet, die Quelle kann kleiner ausfallen als der summierte Maximalbedarf der einzelnen Endabnehmer. In vielen Projekten werden so spezifische Energiekosten von etwa 5 Cent/KWh realisiert. Die Investitionskosten fallen gegenüber Wärmenetzen der vierten Generation zwar etwas höher aus, werden jedoch im Förderprogramm Bundesförderung für effiziente Wärmenetze (Wärmenetzsysteme 4.0) bezuschusst. So wird für innovative Wärmenetze eine Grundförderung von 30 % – für KMU sogar von 40 % – der Investitionskosten gewährt. In Abhängigkeit des Anteils Erneuerbarer Energien erhöht sich der Fördersatz durch eine Nachhaltigkeitsprämie um bis zu 10 %.

Durch den hohen Anteil Erneuerbarer Energien von mittlerweile 45 % im deutschen Strommix sowie die Effizienz von leistungsgeregelten Sole/Wasser-Wärmepumpen sind attraktive Förderquoten möglich: Der erneuerbare Anteil des Gesamtsystems berechnet sich aus dem Anteil Umweltwärme (bis zu 100 % regenerativ) und dem erneuerbaren Anteil im Strommix. Hierfür sind laut Merkblatt der BAFA aktuell 45 % anzusetzen. Für ein Beispiel mit einer Jahresarbeitszahl von 5,00 beträgt der erneuerbare Anteil damit 89 %. Die Nachhaltigkeitsprämie bemisst sich dann anhand des über 50 % hinausgehenden erneuerbaren Anteil, hier wären es etwa 8 Prozent der maximal möglichen 10 %.

Nicht zuletzt bedeutet die Wärmeerzeugung mit dezentralen Wärmepumpen in einem Kalten Nahwärmenetz den vollständigen Verzicht auf die Verbrennung fossiler Energieträger. Damit werden im Versorgungsgebiet weder Kohlenstoffdioxid noch Schwefeldioxid oder Feinstaub emittiert. Auch bei Berücksichtigung der CO2-Emissionen des deutschen Strommixes ergeben sich wesentlich geringere Emissionen gegenüber Wärmenetzen der vierten Generation.

Kalte Nahwärmenetze: Schlüssel zur klimaneutralen Wärmeversorgung

Im Jahr 2020 wurden in Deutschland knapp 113.000 neue Wohngebäude errichtet, wovon gut 9.000 Objekte an Wärmenetze angeschlossen wurden. Derzeit befinden sich mehr als 100 Kalte Nahwärmenetze in der Planung, die in den nächsten Jahren in Betrieb gehen sollen. Durch perspektivisch strengere Effizienzanforderungen an Neubauten2 und Sanierungsobjekte3 sowie eine wachsende Bedeutung von Wärmenetzen kann davon ausgegangen werden, dass mittelfristig jedes Jahr mehrere Tausend Wohngebäude an solche Nahwärmenetze angeschlossen werden.

Bei der zukunftsfähigen Wärmeversorgung von Quartieren werden Kalte Nahwärmenetze in den nächsten Jahren eine entscheidende Rolle spielen. Sie sind damit ein Schlüssel für die klimaneutrale Wärmeversorgung ganzer Wohngebiete. Gleichzeitig schafft der Betrieb der Infrastruktur neue Geschäftsmodelle für Stadtwerke und Energiedienstleister.

1 Die Klassifikation ist angelehnt an Publikationen von Lund (2014) und Buffa (2019)

2 Die Ampel-Koalition plant, das Effizienzhaus 40 ab dem 01.01.2025 als Mindestanforderung für Neubauten zu definieren.

3 Im Koalitionsvertrag ist weiterhin vorgesehen, dass neu installierte Heizungen ab dem 01.01.2025 einen Mindestanteil von 65 % Erneuerbaren Energien erfüllen müssen.

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