Intelligente Nahwärmenetze – Teil 1

Effiziente Energieversorgung für Kommunen und Gemeinden 

Während vielerorts in Deutschland nur noch über die gescheiterte Klimawende lamentiert wird, nehmen einige pfiffige, kreative und mutige Gemeinden ihr Schicksal selbst in die Hand und entscheiden sich für eine innovative Form der Energieversorgung – das Kalte Nahwärmenetz.

Beginnen wir mit einem Blick auf die Begriffsdefinitionen rund um die Wärmeversorgung mit Wärmenetzen. Denn auch unter Fachleuten kommt es immer wieder vor, dass hier einige Begrifflichkeiten vermischt werden bzw. es zu Unschärfen in der eindeutigen inhaltlichen Zuordnung gibt. Von kalter Nahwärme bis zu Anergienetze reichen hier die Begriffsdefinitionen. Grundsätzlich sind alle alternativen Netzformen Anergienetze und werden nach den Temperaturniveaus von Vor- und Rücklauf unterschieden. „Intelligente Nahwärme“ ist eher ein Sammelbegriff, der die Tatsache umschreibt, dass ein Netz durch die geringeren Heizlasten von Gebäuden nicht mehr zwingend auf hohem Temperaturniveau betrieben werden muss. Dabei wird die Umweltwärme auf geringem Temperaturniveau genutzt, während alternative Energien für die Versorgung mit Wärme und Strom zum Einsatz kommen. Hier die aktuell wichtigsten Formen der „Netzwärme“:

Das Quellnetz

Hier wird für ein Quartier zentral eine Quelle gefasst (Grundwasser, Sondenfeld, Erdregister) und „kalt“ verteilt.

Die Vorteile: Der einzelne Haushalt muss sich nicht selbst um die teure Erschließung der Wärmequelle kümmern, da die Erschließung zentral erledigt wird. Zudem kann das Netz mit Wärmepumpen betrieben werden, die bestmöglich regenerativen Strom nutzen und damit einen positiven Beitrag zur Wärmewende leisten. Des Weiteren gibt es grundsätzlich wenig Wärmeverluste im Netz, alle anderen Versorgungsformen im „Wärmenetz“ zeigen höhere Verluste.

Die Nachteile: Für die Wärmeversorgung werden bei diesem Netzmodell einfache Wasserrohre ohne jegliche Dämmung verbaut. Dies hilft zwar Kosten in der Erschließung zu sparen, da die Verlegung günstiger ist. Allerdings kann ein solches Netz keine zusätzliche Umweltwärme – wie beispielsweise die Solarthermie – aufnehmen und ist nach einmaliger Verlegung nicht mehr flexibel in der Nutzung bzw. Energieerzeugung. Ein weiterer Nachteil: Hohe Energiedichten (Mehrfamilienhäuser, Wärmeintensives Gewerbe) sind nicht abbildbar, da wenig Wärmeenergie transportiert wird und zugleich der Volumenstrom im Netz sehr hoch sein muss, um entsprechend viel Wärmeenergie aus dem Netz zu ziehen. Da eignen sich andere Netzformen deutlich besser.

Ebenfalls negativ zu bewerten ist auch der Umstand, dass keine Stromerzeugung – außer Photovoltaik (PV) – innerhalb des Netzes möglich ist (KWK macht nur Sinn, wenn die Wärme auch im Netz genutzt werden kann). Doch auch PV ist im Grunde nur bedingt geeignet, da die tatsächlichen Deckungszeiten von hoher Heizlast und Sonnenschein sehr gering sind.

Das intelligente Nahwärmenetz

Bei dieser Netzvariante können verschiedene Temperaturniveaus – je nach angestrebter Netzstrategie – gefahren werden. Zudem zeichnet das Nahwärmenetz eine zukunftsflexible Erzeugerstrategie aus: heute BHKW, morgen Brennstoffzelle. Die zentrale Sammlung von Umweltwärme, Erzeugung und Verteilung ist der markante Leistungsindikator für ein intelligentes Nahwärmenetz.

Die Vorteile: Es handelt sich um ein zukunftsoffenes System, sowohl was den Herstellungsprozess der Wärme als auch deren Verbrauch betrifft. Beispiel: heute ist die KWK mittels BHKW das Mittel der Wahl. Bei politischen Anpassungen der Rahmenbedingungen oder technischen Neuerungen kann das BHKW gestrichen und die neue – zumeist effizientere Energiequelle eingesetzt werden.

Gerade Gebäude mit einem höheren Energiebedarf oder auch Bestandsgebäude können über diese Technik versorgt werden. Auch Mischgebiete aus Neu- und Bestandsbau sind „Versorgungskandidaten“.

Grundsätzlich ist weniger Strom notwendig als im reinen Quellnetz, da die Wärmepumpen weniger Hubarbeit verrichten müssen und in einem besseren Betriebspunkt arbeiten (höherer COP). Die Eigenstrom-Erzeugung bzw. Eigenwärme-Produktion ist auf Nutzer- bzw. Betreiberseite problemlos möglich.

Die Nachteile: Das Investment liegt höher als im reinen Quellnetz, da alle wasserführenden Leitungen isoliert sind. Außerdem muss eine eigene Heizzentrale errichtet werden, welche mit den entsprechenden Wärmeerzeugern ausgestattet und betrieben werden muss.

 

Arealnetz

Dieses ist die Erweiterung des intelligent betriebenen Nahwärmenetzes um die Komponente Strom. Das bedeutet die konsequente Fortführung der Sektorenkopplung.

Die Vorteile: Konsequente Weiterentwicklung des dezentralen Versorgungsgedankens auf Basis Erneuerbarer Energien. So wird die Energie bedarfsgerecht erzeugt und lokal innerhalb des Subnetzes verbraucht.  Das Arealnetz ermöglicht eine CO2-neutrale Erzeugung von Wärme und Strom. Jeder Anschlussteilnehmer profitiert von dieser kombinierten Erzeugung und verwendet diese Energie. Contracting Anbieter können diesen Strom teilweise deutlich unter Marktpreis erzeugen und geben diese aktuellen Preisvorteile teilweise auch an den Endkunden weiter.

Die Nachteile: Es sind deutlich höhere Anfangsinvesti­tionen in die komplette Technik notwendig. Zudem sind die aktuellen rechtlichen Rahmenbedingungen in puncto Strom (Stichwort „Kundennetz“) noch etwas schwierig bzw. mühselig. Hier ist die Politik gefordert, schnellstmöglich allgemeingültige Standards zu setzen, wie ein solches Netz rechtlich zu bewerten ist. Wenn dieser gesetzgeberische Knoten endlich platzt, wird die Umsetzung von Wärmenetzen erheblich einfacher. Die konservative Ener­gieerzeuger-Industrie blockiert hier allerdings mächtig.

Vergleichende Betrachtung

Schauen wir uns nun noch mal den genauen Unterschied zwischen einem „intelligenten“ Nahwärmenetz und einem „konventionellen“ Nahwärmenetz an und werfen zudem einen Blick auf die unterschiedlichen Netzstrategien eine „Intelligenten Nahwärmenetzes“ (kalt, gleitend, warm/kalt, heiß):

Konventionelles Nahwärmenetz: Die Vorlauftemperatur liegt ganzjährig zwischen 60 bis 85 °C. Im Sommer ergeben sich hohe Verlustleistungen, da meist sehr wenig Abnahme innerhalb des Netzes (nur Trinkwasserbereitung). Viele Netze laufen über die Sommermonate defizitär und müssen die Wärmepreise nach oben korrigieren.

Intelligentes Nahwärmenetz – Kalte Strategie: Ganzjährige Vorlauftemperatur liegt bei 8 bis 12 °C, dadurch kommt es kaum zu Wärmeverlusten im Netz. Durch den Einsatz von nicht isolierten Rohleitungen kann „auf dem Weg zum Endabnehmer“ zusätzlich noch Energie aufgenommen werden, was die Erschließung der eigentlichen Quelle (Sondenfeld, Grundwasserbrunnen etc.) günstiger macht. Dafür ist aber relativ viel Strom notwendig für den Betrieb der dezentralen Wärmepumpen, was den Stromnetzausbau vor Probleme stellen kann. Diese Netze nutzen ausschließlich Umweltwärme auf geringem Temperaturniveau und können nicht durch zusätzliche Energieträger unterstützt werden. Bestandsgebäude können in der Regel nicht mit eingebunden werden, da die Heizlasten zu hoch sind.

Intelligentes Nahwärmenetz – Kalt/Warm-Strategie: Im Winter wird das Netz auf eine Vorlauftemperatur von 60 bis 85 °C gefahren, wie ein klassisches Netz. Damit kann die Heizlast der Gebäude meist komplett abgedeckt werden. Das Warmwasser wird ebenfalls direkt und ausschließlich über die Nahwärme direkt erzeugt. Ab einer Außentemperatur von ca. 12 °C und wärmer wird das Netz auf Sommerbetrieb umgeschaltet und läuft mit einer Vorlauftemperatur von 10 bis 30 °C. Die Vorwärmung der Netztemperatur passiert über eine Heizzentrale mit Solarthermie oder andere Energiequellen (BHKW, Hackschnitzel etc.). Der große Vorteil: Die solarthermische Komponente kann maximiert werden. Die Warmwasserbereitung und eventuelle „Rest-Heizlasten“ in der Übergangszeit übernimmt die dezentrale Wärmepumpe innerhalb jedes einzelnen Gebäudes. In Netzen, in denen Wärme­pumpen zum Einsatz kommen, sind je nach Wärmepumpentyp Vorlauftemperaturen von 10-55°C möglich. Ideal dafür geeignet sind Mischbebauungen (Neubau + Bestand), da die Heizlasten im Winter unabhängig von der Leistung der Wärmepumpe nahezu beliebig hoch sein können, denn die Wärmeübertragung geschieht mit einer klassischen Fernwärme-Übergabestation.

Intelligente Nahwärmenetze – Gleitende Strategie: Bei dieser Strategie wird die Vorlauftemperatur im Nahwärmenetz immer in Abhängigkeit der Außentemperatur gehalten, fließend bzw. gleitend zwischen 10 bis 50 °C, vergleichbar mit der Heizkurve einer Zentralheizung. Die Gebäude müssen so beschaffen sein, dass diese Temperatur zur vollständigen Beheizung ausreicht, die Übertragung geschieht mittels Übergabestationen innerhalb der hierfür spezialisierten Wärmepumpen. Die Warmwassererzeugung übernimmt die in jedem Gebäude dezentral platzierte Wärmepumpe ganzjährig, wobei die Vorwärmung des Brauchwassers durch die Nahwärme realisiert wird. Die Wärmeerzeugung des Netzes erfolgt in einer Heizzentrale aus einem Mix aus Solarthermie, BHKW und klassischen Feuerungen (Biomasse, Öl, Gas). Die gleitende Strategie ist primär für den Neubau geeignet.

Fazit

In der Siedlungswirtschaft bzw. -politik stellen „Intelligente Nahwärmenetze“ auf jeden Fall eine der zurzeit effizientesten und spannendsten Formen der Energieversorgung von Gebäuden dar. Dabei erfüllen diese Versorgungskonzepte je nach Netzausprägung bereits bestmöglich die Anforderungen an die Sektorenkopplung. Die Umsetzung eines solchen Areals und der Erfolg hängen allerdings stark von den Rahmenbedingungen ab – sei es technisch oder rechtlich. Dies sorgt bei vielen potentiellen Betreibern für ein zögerliches Entscheidungsverhalten. Teilweise ist auch die Unwissenheit bei vielen politischen Entscheidern zu diesem Thema eine große Hürde. Doch gerade in jüngster Zeit hat sich was getan in puncto „positive Lobbyarbeit“ für diese Form der Nahwärmenetze. So sind diverse attraktive staatliche Förderungsprogramme (wie z.B. BAFA) in letzter Zeit aufgelegt worden, welche dem Thema nochmal einen positiven Schub geben. Ebenso zeugen aktuelle Marktstudien und Meinungsumfragen vom öffentlichen Interesse an den regenerativen Versorgungsnetzen und dem steigenden Verständnis in den Entscheiderkreisen. Zunehmend werden auch die Versorgungsnetze als privates Investment beliebter. Viele Energie-Genossenschaften und Bürgerinitiativen suchen in dieser Technologie die Möglichkeit, das Geld des „kleinen Mannes“ gewinnbringend zu investieren, da viele andere Investments nicht mehr so lukrativ erscheinen. Doch das sind alles „nur“ angenehme Nebeneffekte. Die Kernbotschaft der Nahwärmenetze sollte lauten: Liebe Energieversorgungsentscheider, verlasst euch nicht mehr länger auf die Politik, sondern fangt endlich an, die Klimawende aktiv selbst zu gestalten – es gibt nur ein Klima!

Der zweite Teil des Beitrags erscheint in der folgenden tab-Ausgabe.

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