Aufzugssteuerung für smarte Gebäude

Ein Transit-Management-System im Park-Tower

Die Anwohner des Park-Towers brauchen keine Schlüssel. Ein Transit-Management-System öffnet den Bewohnern des Hochhauses im schweizerischen Kanton Zug automatisch die Türen und stellt den Aufzug passend bereit.

Das höchste Gebäude des Kantons Zug ist zugleich auch eines der „smartesten“. Denn mit seinen 88 m Höhe bietet der Park-Tower nicht nur einen traumhaften Ausblick über Zug – in dem Wohnhochhaus sorgt ein Transit-Management-System dafür, dass alle Gebäude­nutzer schnell und sicher ans Ziel kommen. Das System besteht aus zwei Komponenten: Die klassische Zielrufsteuerung „PORT“ steht für „Personal Occupant Requirement Terminal“. Sie übernimmt die Aufgabe, Personen optimal auf die Aufzüge zu verteilen – d.h. Personen mit gleichem Ziel demselben Aufzug zuzuweisen. Die dazugehörige Smartphone-App verwaltet die Zugangsberechtigungen zu allen Türen und Aufzügen im Gebäude. Verfügen die Bewohner über die App sowie die nötigen Berechtigungen, öffnet sich die Schranke zur Tiefgarage oder dem Haupteingang automatisch, der Aufzug steht schon bereit und fährt sie in die richtige Etage, ohne dass ein Knopf betätigt werden muss. Oben angekommen öffnet sich auch die Wohnungstür wie von ganz allein, sobald der Zugangsberechtigte sich nähert.

 

Komfortabel von A nach B

Bei einer Mischnutzung mit 60 Wohnungen und Gewerbe auf insgesamt 14.200 m2 Fläche und 25 Etagen ist eine derart individuelle Zutrittskontrolle eine komplexe Angelegenheit. Hinzu kommen bis zu 30 verschiedene Eigentümer, was die Organisation nicht einfacher macht. „Da ist man schnell bei 250 Zutrittsbereichen, für welche festgelegt werden muss, wer wo rein darf und wer nicht“, sagt Dr. Florian Trösch, Head TMG Business Development bei Schindler. Aufgrund dieser Komplexität bietet der Park-Tower die idealen Voraussetzungen für den ersten Einsatz dieses neuen Systems. „Die neue Technologie ist weniger eine Smartphone-Applikation als vielmehr eine konsequente Weiterführung unserer Vision einer Zielrufsteuerung“, so Dr. Florian Trösch. Als eines der wenigen Wohnhochhäuser in der Schweiz sei der Park-Tower geradezu prädestiniert, die Möglichkeiten dieses Transit-Management-Systems aufzuzeigen.

Die Basis des Systems ist die Aufzugsteuerung. Sie ermög­licht nicht nur die vertikale Erschließung, sondern sorgt auch für Sicherheit. Im Park-Tower können Besucher nur einen der drei Aufzüge für den Weg nach oben nutzen. Die Treppe ist vom Foyer aus für die Öffentlichkeit nicht zugänglich, ist aber beispielsweise für die Evakuierung im Brandfall nutzbar. Wer also die Aufzüge kontrolliert, kontrolliert auch den Zutritt. Bei der Planung des Verkehrsflusses in Gebäuden sollte aber nicht nur in der Vertikalen gedacht werden. Eine andere Frage ist viel grundlegender: Wie bringe ich einen Gebäudenutzer effizient, schnell, sicher und vor allem komfortabel von A nach B? Dies ist das eigentliche Ziel von Schindlers Transit-Management-System. Es erweitert den Fokus von der vertikalen Fahrt auf den Verkehrs­fluss des ganzen Gebäudes, das heißt Zutrittsrechte öffnen die Türen von Aufzügen, Wohnungen oder anderen Teilen des Hochhauses. Der Grundgedanke: Der Personenverkehr in einem Gebäude wird komfortabler und effizienter, wenn die Bedürfnisse jedes individuellen Nutzers bekannt sind und optimal aufeinander abgestimmt werden.

Was sich anhört wie eine schöne Utopie, ist bereits in vielen Gebäuden der Welt Realität. Der höchste Wolkenkratzer ­Hongkongs, das 2010 eröffnete International Commerce Center (ICC), war eines der ersten Gebäude, in denen diese Technologie zum Einsatz kam. Nicht nur, dass die 20.000 Passagiere in diesem 484 m hohen Gebäude aufgrund der Zielrufsteuerung schnell zum Ziel kommen. Jährlich werden zudem 85.000 kWh Strom eingespart – allein dadurch, dass das System die Hälfte der Aufzüge in Zeiten mit wenig Verkehr pausieren lässt.

 

Die ersten Entwicklungen

Um die Idee hinter dieser Technologie zu verstehen, muss man sich zunächst vergegenwärtigen, dass Aufzüge insbesondere bei hohem Verkehrsaufkommen oftmals das Nadelöhr in Gebäuden sind. Großes Manko von konventionellen Aufzugsteuerungen ist, dass die Nutzer ihr Ziel erst angeben, wenn sie bereits in der Kabine sind. Wäre dies bereits vor dem Betreten der Kabine der Fall, könnte Personen mit einem gemeinsamen Ziel derselbe Aufzug zugewiesen werden. Mit dieser Überlegung war die sogenannte Zielrufsteuerung erfunden, die unter dem Namen „Miconic 10“ 1992 von Schindler auf den Markt gebracht wurde.

Nutzer vor der Fahrt auf verschiedene Aufzüge zu verteilen, vermeidet Zwischenstopps. Alle kommen schneller ans Ziel und es wird weniger Energie verbraucht. Noch effizienter kann das System allerdings arbeiten, wenn sich die Nutzer vorab identifizieren. Das war die Idee von „Schindler ID“, der zweiten Generation der Zielrufsteuerung, die 2000 eingeführt wurde. Wenn jeder Passagier über ein Identifikationsmedium – wie zum Beispiel eine Karte – verfügt, dann kann der Zutritt für jeden individuell geregelt werden und der Aufzug weiß automatisch, auf welches Zielstockwerk er fahren soll. Das erhöht Komfort, Effizienz sowie Orientierung und Sicherheit in einem Gebäude. Von da aus war es nur ein weiterer Schritt zum Transit-Management-System: Was für den vertikalen Transport gilt, kann auch auf den Personenfluss im gesamten Gebäude angewendet werden. Jeder Nutzer soll auf individuelle Weise bequem, schnell und sicher durchs Gebäude geleitet werden.

 

Der Park-Tower als Paradebeispiel

Was das in der Realität bedeutet, kann man im Park-Tower Tag für Tag erleben. „Im simpelsten Fall hat der Bewohner eine Karte, mit der er den Briefkasten, die Garage sowie seine Wohnungstür öffnen und Aufzug fahren kann“, so Dr. Florian Trösch. Inzwischen nutzen jedoch viele Bewohner bereits die zur Schindler-Lösung gehörige App auf ihrem Smartphone. Dadurch, dass im gesamten Gebäude die erforderlichen Geräte mit einer drahtlosen Kurzdistanztechnologie ausgestattet sind, öffnen sich die Türen automatisch und der Aufzug steht bereit, sobald der Bewohner mit seinem Smartphone in die Nähe kommt. Zudem wird am Haupteingang die Sicherheit gegenüber herkömmlichen Systemen erhöht. Dazu wird hier ein vierstufiger Sicherheitsmechanismus eingesetzt. Dies ist sogar eine Sicherheitsstufe mehr als bei der Nutzung von Online-Banking. Erkennt das System, dass sich ein Bewohner in der Nähe des Gebäudes befindet, versendet das System einen Berechtigungsnachweis auf dessen Mobiltelefon. Wenn der Nutzer sich authentifiziert, indem er sein Telefon entsperrt, ist sein virtueller Schlüssel aktiv und er erhält Zugang zum Gebäude. „Auf diese Weise können wir sicherstellen, dass es sich auch wirklich um die richtige Person handelt und nicht nur um deren Smartphone“, so der Schindler-Experte.

 

Einfacher Zugang für Besucher

Wenn Besucher in das Gebäude möchten, benötigen sie einen Zugang. Unangemeldete Besucher können den Bewohner über eine Besuchersteuerung am Eingang einfach via Videochat kontaktieren. Der Bewohner sieht auf seiner Videogegensprechanlage in der Wohnung, oder alternativ auf seinem Smartphone, wer vor der Tür steht. Er kann den Anruf abweisen oder entgegennehmen, mit der Person sprechen und ggf. mit einem simplen Klick auf die Einladungstaste dem Gast die Tür öffnen. Gleichzeitig hat er die Möglichkeit, seinem Besucher den Aufzug bereitzustellen, der automatisch die richtige Etage anfährt.

Angemeldeten Gästen sendet der Bewohner einen sogenannten „Crazy Color Code“ (CCC), mit dem dieser Zugang zum Gebäude erhält. Der CCC basiert auf Farben und stellt eine Verbesserung gegenüber dem QR-Code dar. Da er keinen Autofokus benötigt, wird er wesentlich schneller von einer Kamera gelesen und eignet sich auch für Personen mit zittrigen Händen. Sobald der Besucher das Gebäude betritt, wird der Einladende über die App benachrichtigt. Dabei kann das System Besuchern Zugang gewähren, unabhängig davon, ob sie die App installiert haben oder nicht. Betritt der Besucher das Gebäude ohne App, muss er lediglich auf den eingebetteten Link einer SMS klicken. So erhält er einen CCC, welcher ihm Zutritt gewährt.

Der Bewohner kann also jederzeit, ob er zu Hause ist oder nicht, über die App des Transit-Management-Systems einem Besucher Zugang zum Gebäude gewähren. Zudem eignet sich die App mit dem CCC auch für Parkhäuser, indem sie Anwohnern und Besuchern nach erfolgreicher Identifikation automatisch Zufahrt gewährt.

 

Sicherheitsstandards werden erfüllt

Doch wie wird sichergestellt, dass wirklich nur befugte Personen Zutritt erhalten? Dr. Florian Trösch erklärt: „Schindler ist seit 30 Jahren im Bereich Sicherheit aktiv und legt Wert darauf, dass die Software höchste Sicherheitsstandards erfüllt.“ Mithilfe eines patentierten Schlüsselmanagementsystems für virtuelle Schlüssel werden diese gezählt und beschränkt. Handlungen, wie z.B. die Weitergabe eines Schlüssels, werden datenschutzkonform protokolliert. Zur weiteren Verbesserung von Sicherheit und Privatsphäre plant Schindler den Einsatz einer blockchainbasierten Technologie. „Dennoch möchte ich festhalten, dass es sich nicht um ein Sicherheitssystem, sondern um eine Zutrittslösung handelt. Zutritt und Sicherheit sind zwei klar getrennte Gewerke im Gebäude, wobei das Sicherheitssystem unter anderem die Aufgabe hat, das Zutritts­sys­tem zu überwachen. Ein Sicherheitssystem kann bei Bedarf jederzeit zusätzlich installiert werden“, so Dr. Florian Trösch.

 

Transit-ManagementSystem mit „Smart Home“-Charakter

Die Transit-Management-Lösung von Schindler bietet auch Schnittstellen und lässt sich als „Smart Home“-System sehen. So können z.B. das Licht, die Heizung, eine Klimaanlage oder eine Videokamera im Eingangsbereich der Wohnung über das Transit-Management-System Signale empfangen und in Zukunft auch über die App am Smartphone bedient werden. Das Aufzugs- und Fahrtreppenunternehmen arbeitet in diesen Bereichen mit festen Partnern zusammen. Hierbei legt Schindler Wert darauf, dass potentielle Partner den gleichen Anspruch an die Zufriedenheit ihrer Kunden stellen, wie sie selbst.

Dr. Florian Trösch betont: „Uns geht es aber nicht darum, in den klassischen Smart-Home-Bereich einzusteigen. Unsere Transit-Management-Lösung optimiert in erster Linie den Verkehr innerhalb eines Gebäudes mit allem, was dazu gehört.“ Die Schnittstellen für weitere Bereiche sind vorhanden, um das System an die aktuellen Ansprüche der Endkunden anzupassen. Da dies aber nicht den Kernkompetenzen von Schindler entspricht, bietet das Unternehmen diese Schnittstellen nicht offensiv an, sondern legt den Fokus in erster Linie auf die Softwarelösung zur Steuerung von Aufzügen, Videogegensprechanlage und Türen. „Türen und Videogegensprechanlage sehen wir als integralen Teil. Wir kümmern uns dabei vorwiegend um die Software und einzelne wichtige Geräte, bei denen uns das Design besonders wichtig ist. Standard-Hardware, wie die elektronischen Schlösser, kann der Kunde kaufen, wo er mag“, so Dr. Florian Trösch.

Eine Schnittstelle für die Beleuchtung ist bereits vorhanden. Sie kann mit dem Aufzug kommunizieren, so dass sich das Licht automatisch einschaltet, wenn der Aufzug im Stockwerk der Wohnung ankommt. Die Software ist bei Schindler selbst erhältlich. Bei einer Neuinstallation empfiehlt das Unternehmen, sich schon während der Gebäudeplanung an den zuständigen Berater zu wenden. So erfahren Architekten und Planer, welche Parameter bereits bei den Entwürfen – z.B. im Hinblick auf die Kabelverlegung – beachtet werden müssen.

 

Die Technologie lohnt sich bei komplexen Gebäuden

Bei der Entscheidung für oder gegen ein Transit-Management-System ist es wichtig zu berücksichtigen, wie komplex der Verkehrsfluss in einem Gebäude ist. Die Stärke dieser weiterentwickelten Zielrufsteuerung greift dann, wenn mehrere Bereiche damit gesteuert werden. „Wir sagen immer: Je komplexer der Bau, desto sinnvoller ist unsere Lösung. In der Regel lohnt sich das System bei Bauvorhaben ab einem Gesamtbaukostenumfang von ca. 40 Mio. €“, so Dr. Florian Trösch. Hierunter fallen Mehrfamilienhäuser, Büro- oder Mischgebäude und Parkhäuser.

 

Erste Projekte werden umgesetzt

Die Software kommt im Markt an. Neben dem Park-Tower in Zug gibt es bereits weitere Objekte, in denen das Transit-Management-System inklusive App eingesetzt werden wird. Hierzu zählt auch der Frankfurter Omniturm, dessen Fertigstellung für Mitte 2019 geplant ist. Dieses Hochhaus mit echter Mischnutzung stellt besonders hohe Anforderungen an die vertikale Erschließung.

Die Lösung ist aber nicht nur für Hochhäuser interessant, sondern eignet sich insbesondere auch für ganze Wohnanlagen mit mehreren Mehrfamilienhäusern. Ein Beispiel hierfür ist das Stadtquartier „Future Living“ in Berlin. Am Standort Adlershof wird derzeit ein Mehrgenerationenquartier geschaffen, in dem die Möglichkeiten der Datenvernetzung mehr Komfort, Sicherheit und Zeitgewinn für die Bewohner bieten. Für die vertikale Erschließung der Gebäude sorgen acht Aufzüge vom Typ „Schindler 3300“, die über die neue Technologie gesteuert werden. Sämtliche Haupteingangs- und Wohnungstüren sind ebenfalls in das System integriert und lassen sich, wie auch im Park-Tower, über ein stationäres Terminal oder mithilfe der Smartphone-App bedienen. Darüber hinaus wurden beim Berliner Projekt weitere Schnittstellen eingebunden, die Generationen jeden Alters u.a. mit der automatischen Beleuchtung neuen Wohnkomfort bieten. So können z.B. Präsenzmelder Bewegungen über Sensoren wahrnehmen und nachts das Licht automatisch anschalten oder Notfälle sowie Einbrüche weiterleiten.

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