Populäre Rechtsirrtümer am Bau – Teil 8

Jeder Auftrag wird separat abgewickelt

Bei Baubeteiligten besteht zu einem gewissen Grad die Überzeugung, dass verschiedene Aufträge zwischen denselben Vertragsparteien separat behandelt werden müssen. So kommt es öfter vor, dass ein Unternehmen mich bittet, die Durchsetzung einer offenen Schlussrechnung aus einem Projekt zu versuchen. Auf die Frage, ob es bekannte Probleme gebe, höre ich dann zuweilen, alles sei in bester Ordnung. Gut, man habe Schwierigkeiten bei einem anderen Projekt mit dem Auftraggeber. Aber das habe mit dem vorliegenden Fall ja nichts zu tun. Ist diese Auffassung richtig?

Einordnung von Gegenansprüchen

Diese Fälle zeichnen sich dadurch aus, dass zwei Vertragspartner mehrere Projekte bzw. Aufträge miteinander durchführen. In dem einen Projekt hat der Auftragnehmer Ansprüche gegen den Auftraggeber, bei einem anderen Projekt hat der Auftraggeber (vielleicht strittige) Ansprüche gegen den Auftragnehmer. Wie können diese Ansprüche miteinander verknüpft werden?

 

Das geht zu einem über ein sogenanntes Zurückbehaltungsrecht. Das heißt nichts anderes als:

„Ich zahle dein Geld beim Projekt Hamburg erst, wenn du die Mängel beim Projekt München beseitigt hast, vorher nicht.“

Oder es wird eine Aufrechnung vorgenommen, z. B.:

„Ich zahle deine Rechnung beim Projekt Hamburg nicht, weil du dich beim Projekt München geweigert hast, bestimmte Leistungen im Rahmen der Pauschale zu erbringen, die ich dann anderwo einkaufen musste. Diese Kosten verrechne ich mit dem Rechnungsbetrag.“

Tatsächlich werden diese Konstellationen rechtlich nicht völlig gleich bewertet.

 

 

Zurückbehaltungsrecht

Aus demselben Vertrag können Zurückbehaltungsrechte jederzeit geltend gemacht werden. Aus unterschiedlichen Aufträgen aber nur dann, wenn Anspruch und Gegenanspruch auf „demselben Lebensverhältnis“ beruhen. Das würde am Bau unproblematisch bejaht, wenn es um zwei einzelne Aufträge bei demselben Projekt geht. Ein solches einheitliches Lebensverhältnis wird von der Rechtsprechung dagegen verneint bei gegenseitigen Ansprüchen, die ganz verschiedene Bauvorhaben betreffen. Eine Ausnahme wird dann nur noch für die sogenannte ständige Geschäftsverbindung gemacht; dafür muss die Zusammenarbeit aber schon ziemlich intensiv sein, nur drei oder vier Aufträge genügen da nicht. Ansonsten gilt: Der Auftraggeber kann im Beispielsfall oben mit dem Druckmittel Bezahlung nicht die – vielleicht strittige – Mängelbeseitigung aus dem anderen Bauprojekt durchsetzen bzw. ist jedenfalls nicht im Recht.

 

Aufrechnung

Anders ist es bei der Aufrechnung. Hier stehen sich zwei Geldansprüche gegenüber, nämlich z.B. der Anspruch auf Bezahlung und der Anspruch auf Schadensersatz. Solche Geldansprüche können fast immer gegeneinander aufgerechnet werden, auch wenn sie aus verschiedenen Projekten am Bau stammen. Die Beschränkungen des Zurückbehaltungsrechts gelten daher nicht. Wenn die Gegenseite also Geldforderungen hat oder zu haben meint, muss ich meinen Mandanten immer sagen, dass diese zulässigerweise ins Spiel gebracht werden dürfen und die Berechtigung der Gegenansprüche dann zu beurteilen ist.

 

Vertragliche Vereinbarungen

Diese rechtlichen Grundsätze können von den Vertragsparteien natürlich auch anders vereinbart werden. Gibt es zum Beispiel zwischen zwei Parteien einen größeren Rechtsstreit, der die Vertragsbeziehung aber nicht tiefgehend gestört hat, dann kommt es vor, dass für ein ganz anderes Projekt wieder Leistungen abgefragt werden. In diesem Fall empfiehlt es sich für den Auftragnehmer, eine ausdrückliche Vereinbarung zu treffen, dass die Projekte separat gehalten werden. Er kann etwa formulieren:

„Gerne bieten wir Ihnen unsere Leistung an. Wir setzen aber voraus, dass die bestehenden Meinungsverschiedenheiten im Projekt Y auf das jetzt angefragte Projekt keine Auswirkungen haben dürfen. Eine Aufrechnung mit Ihren kürzlich angemeldeten Schadensersatzansprüchen gegen unsere Lieferforderung muss ausgeschlossen sein.“

Tut der Auftragnehmer dies nicht, dann könnte es sein, dass die Aufrechnung erklärt wird und dann er seinem Geld hinterherlaufen muss.

 

Es ist besser, eine solche Frage konkret anzusprechen, als sich auf Klauseln im „Kleingedruckten“ der Verträge zu verlassen. Es wird zwar oft versucht, Aufrechnungs- und Zurückbehaltungsrechte auszuschließen, und zwar von beiden Seiten. Ob solche Klauseln wirksam sind, unterliegt allerdings einer Nachprüfung nach dem AGB-Recht, weil es dabei dann fast immer um Formularklauseln handelt. Ganz sicher dürfen dabei die Möglichkeiten zur Zurückbehaltung und zur Aufrechnung innerhalb desselben Vertrages nicht ausgeschlossen werden. Auch die Aufrechnung mit schon rechtskräftig feststehenden Gegenforderungen oder mit solchen, die überhaupt nicht streitig sind, kann nicht wirksam begrenzt werden.

 

Fazit

Ein bisschen Wahrheit ist dran an der Vorstellung, dass Projekte separat behandelt werden. Sobald sich aber Geldforderungen gegenüberstehen (Aufrechnung), ist es mit der Trennung regelmäßig vorbei.


info

Kanzlei Schlünder Rechtsanwälte

Mit 16 Rechtsanwälten, davon vier Fachanwälten für Bau- und Architektenrecht, berät und vertritt die Kanzlei Mandanten aus verschiedenen Branchen auf allen wichtigen Rechtsgebieten bundesweit. Die Kanzlei hat sich auf das Bau- und Architektenrecht spezialisiert und vertritt Unternehmen, Bauherren und Handwerksbetriebe in allen Fragen dieses Rechtsgebiets.
www.schluender.info

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