Kommentar zum Bauwesen

Sanierungsfall Bau- und Staatskultur

Ein Zitat vom scheidenden Bundespräsidenten Joachim Gauck zeigt einen akuten Sanierungsbedarf in der Bau- und Staatskultur Deutschlands. Wenn diese saniert wird, werden sich auch all die anderen Sanierungsstaus auflösen. Wenn die Bau- und Staatskultur sich nicht ändert, wird die deutsche Infrastruktur weiter zerfallen, egal welche neuen Rekordhöhen die Steuereinahmen in den nächsten Jahren noch erreichen.

Die Probleme werden wie üblich an Planern, Bauleuten und Beamten festgemacht. Die im Saal versammelte politische und wirtschaftliche Elite Deutschlands nickt zustimmend den Kopf. Im Bild der Fernseh­übertragung wird bei den letzten Worten des scheidenden Bundespräsidenten die zustimmend nickende Kanzlerin Merkel gezeigt. Sie als Bauprofi wissen, spüren wie surreal die Aussagen von Joachim Gauck sind – eine postfaktische Darstellung des Bauprojekts „Elbphilharmonie“.

Hier werden Millionen Zuschauer irregeführt, nur oder ob­wohl das gebaute Ergebnis am Ende überzeugt. Unbequeme Fakten würden das bequeme Bild der unfähigen Bauleute und faulen Beamten stören.

Wie soll man erklären, dass das privatisierte Bauherrenmanagement der Stadt Hamburg mit 168 Mio. € sogar noch mehr kostet als die gesamten Honorare für Architektur und Planung dieses anspruchsvollen Bauwerks. Für welche „Leistungen“ sind diese Millionen geflossen? Warum zahlt in der aktuellen Niedrigzinsphase ein Bundesland wie Hamburg in der Bauphase des im Volksmund „Elphi“ getauften Megaprojekts schon 50 Mio. € Zinsen? Die Vernunft beim öffentlichen Bauherrn ist auf der Strecke geblieben. Die Bauleute müssen das erleiden. Dabei kann der letzte deutsche Baukonzern schon mal zugrunde gehen.

Warum ignorieren der Bundespräsident und die mediale Öffentlichkeit ein im Mai 2015 als Pressemitteilung veröffentlichtes Baumanagement-Alarmpapier der Präsidenten der Deutschen Rechnungshöfe als verfassungsgemäße Kontrollorgane? Öffentliche Bauprojekte gehen flächendeckend und systematisch schief, weil gesetzliche Vorschriften missachtet werden, weil ohne Budget gebaut und ohne Kostenkontrolle betrieben wird. Ein strafloser Machtmissbrauch der Regierenden bildet das Fundament der Elbphilharmonie. Die katholische Kirche war nach dem Fall des Bischofs von Limburg mutiger und konsequenter. Aber dort sprudeln die Einnahmen weniger kräftig.

Im Jahr 2017 bekommt Hamburg das erste Mal Hilfe aus dem Länderfinanzausgleich. Die reichen Länder Hessen, Baden-Württemberg und Bayern zahlen mehr als 60 Mio. € an Hamburg. Damit sind die Betriebs- und Unterhaltskosten der „Elphi“ vom reichen Süden bezahlt.

Die deutschen Gesamtsteuereinnahmen sind von 2005 bis 2015 um 50 % gestiegen. Mit so viel mehr Geld können sich deutsche Regierende weiterhin den Luxus leisten, ohne verbindlichen Plan drauflos zu bauen und zu ändern. Auf diese Art von Bauen sind die gesetzlichen Regelungen des deutschen Bauwesens ja schließlich ausgerichtet. In dem verpfuschten Bauprojekt werden viele beteiligten Planungs- und Bauunternehmen ruiniert. Das sind Kollateralschäden visionärer, verantwortungsloser Bauprojekte. Das trifft die großen Auftragnehmer stärker. Die Branche atomisiert sich. Der Zeitaufwand bei verpfuschten Bauprojekten steigt. Der Stundenertrag sinkt. Das macht guten Nachwuchs noch rarer.

Speziell die Planer sind beliebte Opfer von Rechtsstreitereien. Und die öffentliche Hand kann endlos lange streiten. Die TGA wird inzwischen immer mehr zum Problemgewerk stilisiert und zum Schuldesel ausufernder Bauprojekte. In der aktuellen Pfuschbaukultur, den die Regierenden per Verordnungen in Deutschland prägen, kann die TGA nicht ihr Potential entfalten. Die Karriere und Einkommensentwicklung von Hunderttausenden Ingenieuren wird beschnitten. 

Die Verbände trauen sich nicht, in Berlin aufzumucken – sonst ist es vorbei mit der Liebe der Ministerien.

Es braucht das Engagement von Bauprofis, die im Wahljahr Politiker von Angesicht zu Angesicht mit konkreten Forderungen und harten Fragen der baulichen Realität konfrontieren. Dabei geht es nicht nur um die Vertretung des Berufsinteresses, sondern auch des Interesses als Bürger und Steuerzahler.

Nach einer Studie der Kultusministerkonferenz werden allein bei Hochschulen pro Jahr 1,5 bis 2 Mrd. € zu wenig für die Sanierung ausgegeben. Damit hat sich seit 2005 ein Sanierungsstau in Höhe von 10 bis 20 Mrd. € gebildet. Rechnet man dies auf die gesamte öffentliche Infrastruktur hoch, sind das locker 100 bis 200 Mrd. € fehlende Investitionen in die Sanierung. Dieser bauliche Sanierungsstau hat sich in einer Zeit gebildet, indem die Lohn- und Einkommensteuereinnahmen des Bundes um 80 % gestiegen  sind (2005 bis 2015) und der Staat seine Verschuldung um ein Drittel er­höht hat.

Die Regierenden werden von Steuern „überschwemmt“, machen mehr Schulden und lassen die bauliche Substanz verfallen. Der Staat hat verlernt, vernünftig zu bauen und zu sanieren.

Dabei muss man mit seinen Auftragnehmern nur so vernünftig umgehen, wie es viele gewerbliche und industrielle Bauherren mit Erfolg in Deutschland tun. Deutschland hat kein Bau-, sondern ein Staatsproblem.

Das ist noch nicht durch die postfaktische Schutzhülle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zum Bürger vorgedrungen (siehe auch www.aufwachen.org). Darum kann sich auch nichts ändern. Die Regierung und das Parlament haben sich an diese Form der Unvernunft gewöhnt. Nicht nur beim ­Bauen. Die eigenen Budgets wurden von 2005 bis 2015 um 50 % angehoben. Die Kanzlerin samt Amt kosten nun 2,4 Mrd. € pro Jahr. Der Sparminister Schäuble hat seinem Ministerium 60 % mehr Budget gegönnt. Das Justizministerium denkt sich mit 90 % höherem Budget immer mehr juristische Komplexität aus, für die es in der Fläche viel zu wenig Richter gibt.

Wer dieses System in Frage stellt, macht sich keine Freunde. Aber die haben Bauleute sowieso nicht. Dazu ist Bauen zu schmutzig. 

Deshalb ist es an der Zeit, dass Bauleute mit Zivilcourage die Sanierung der deutschen öffentlichen Baukultur einfordern. Sie haben viel zu gewinnen, wenn eine bessere staatliche Baukultur das Bauen für alle wertvoller macht.

Die Baukultur wird sich jedoch nur ändern, wenn es in der deutschen Staatskultur mehr Ehrlichkeit und Verantwortlichkeit gibt und wenn grober Machtmissbrauch durch die Regierenden öffentlich angeprangert wird und sich nicht mehr mit baulichen oder planerischen Fehlern vernebeln lässt. 

Quellen

[2] www.wertvoller.info, Informationen und Quellenhinweis zu den Daten der Elbphilharmonie
„...Baukunst entsteht mitunter auch anders als geplant. Und visionäre Projekte bergen auch etwas Unberechenbares. Das heißt aber nicht, dass man über das großartige Ergebnis Fehler und Versäumnisse bei der Planung und während des Baus gänzlich vergessen darf. Das wollen wir jedenfalls nicht. Wir wollen wenigstens, dass sich unsere Beamten das merken.“ [1]
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