Der aquaTurm in Radolfzell

Energieeffizienz in der Vertikalen

Im Zusammenspiel mit einer energieeffizienten Gebäudetechnik produzieren die einzelnen regenerativen Energiequellen des aquaTurms in Radolfzell am Bodensee ausreichend Strom, um den gesamten Bedarf zu decken. Hier leistet jede Komponente ihren Beitrag – sei es die Fassade, die Wärmepumpe, die Wasserarmatur oder der Aufzug.

Das erste Null-Energie-Hochhaus der Welt ist fertiggestellt: Im April 2017 öffnete das Designhotel aquaTurm in Radolfzell erstmals seine Türen. Für das bis dato einzigartige Konzept im Bereich von Hochhäusern dieser Größenordnung erhielt der ehemalige Wasserturm eines Milchwerks bereits 2008 eine Auszeichnung als „Demonstrationsanlage der Bundesrepublik Deutschland“. Auf einer Fläche von insgesamt 700 m2 auf 50 m Höhe stellt das Gebäude in der Jahresbilanz mindestens so viel Energie zur Verfügung wie es benötigt – und auch der Aufzug trägt dazu bei. Weitere Produktneuheiten und ökonomische Features, wie der „sparsamste Wasserhahn“ der Welt, runden die positive Energiebilanz ab. 


Regenerative Energien decken den gesamten Bedarf

Bei der Ausarbeitung der Entwürfe orientierte sich Architekt Norman Räffle im Hinblick auf die Gebäudehülle am Passivhausstandard. Bezüglich der Wärme- und Stromversorgung ging er noch einen Schritt weiter: Die zu 100 % aus erneuerbaren Energien stammen aus Photovoltaik, Hydrothermie, Solarthermie, Windkraft sowie einem regenerativen Aufzugsantrieb. Eine Showtafel im Eingangsbereich des Hotels veranschaulicht aktuelle Kennwerte von Energieproduktion und -bedarf der einzelnen Gewerke. Das Ziel ist eine komplett ausgeglichene Energiebilanz hinsichtlich der Technischen Gebäudeausrüstung. Auch beim Haushaltsstrom und dem Energieverbrauch der Küche ist Norman Räffle zuversichtlich: „Schon nach drei Monaten zeichnet sich ab, dass die Energieproduktion tatsächlich den gesamten Bedarf decken wird.“ Allerdings sind die Zahlen der ersten Monate noch nicht repräsentativ, da auch der Stromverbrauch durch die noch nicht abgeschlossenen Bauarbeiten in die Bilanz eingeflossen ist.

Haupterzeuger für die elektrische Energie ist die mit rund 1.000 PV-Paneelen verkleidete Fassade. Die Anlage verfügt über eine nominelle Leistung von 69 kW. „Da die Anordnung der Solarpaneele im Hinblick auf den Energiegewinn eine wesentliche Rolle spielt, sind es in der Praxis lediglich 220 kWh, die die Photovoltaikanlage täglich erzeugt“, erläutert Norman Räffle. Als zusätzliche Energiequelle wurde eine vertikaldrehende Windturbine als Gebäudespitze mit Absenkdynamik auf dem Hoteldach installiert. Der dadurch gewonnene elektrische Strom fließt in einen 60-kWh-Lithium-Eisenphosphat-Speicher und steht der internen Nutzung zur Verfügung.

 

Aufzug als Stromerzeuger

Neben den klassischen regenerativen Energiequellen ist auch der Aufzug an der Stromerzeugung beteiligt. So fiel die Entscheidung bewusst auf einen „Schindler 5500“ mit Energierückspeisung. „Durch seine Leistungsfähigkeit sowie der ruhigen, komfortablen Fahrweise ist er gleichermaßen für Hochhäuser und Hotels wie unseren aquaTurm geeignet“, begründet Norman Räffle seine Wahl. Zudem erreicht das Aufzugsmodell durchgängig die Ener­gie­effi­zienz­klasse A nach VDI 4707.

Während der Aufzug des aquaTurms die 13 Etagen bedient und dabei Gäste und Mitarbeiter in die insgesamt 20 Panoramazimmer, Etagenappartements oder die Zeller-SPS-Suite im obersten Stockwerk fährt, wandelt er seine Bremsenergie in Strom um. Denn bei schwer beladenen Kabinen in der Abwärtsfahrt, aber auch, wenn die Kabinen in der Aufwärtsfahrt leichter sind als das Gegengewicht, entsteht ein Energieüberschuss. Die kinetische Energie wird mithilfe eines Wechselrichters als Strom zurückgewonnen und in der Regel in das Versorgungsnetz des Gebäudes oder geleitet. Auf diese Option mussten die Ingenieure des aquaTurms jedoch verzichten. Hier fließt die zurückgewonnene Energie in das öffentliche Netz. Die Gründe hierzu liegen in baurechtlichen Vorgaben des Landes Baden-Württemberg, nach denen der Aufzug über eine separate Stromversorgung verfügen muss. So ist garantiert, dass die Feuerwehr im Notfall den Aufzug unabhängig steuern kann, auch wenn es sich nicht um einen voll ausgestatteten Feuerwehraufzug, sondern um eine herkömmliche Anlage innerhalb eines Sicherheitstreppenhauses handelt.

Nach drei Monaten konnten bereits rund 20   % der Energie rückgewonnen werden. Dazu trägt die große Förderhöhe von 37 m in Kombination mit der häufigen Nutzung des Aufzugs, entsprechend der Kategorie 3 der VDI 4707, bei. Zusätzlich kommt die außergewöhnliche Grundrissgestaltung dem System entgegen: „Rezeption und Frühstücksraum des 36-Betten-Turmhotels befinden sich auf der elften Etage.“ Dadurch wird der Aufzug häufig für relativ lange Aufwärtsfahrten mit leichter Kabine genutzt. „Meist sind in diese Richtung nur wenige Personen pro Fahrt unterwegs, weshalb das Gegengewicht in diesen Fällen deutlich schwerer ist und entsprechend viel Energie beim Bremsen zurückgewonnen werden kann“, ergänzt Norman Räffle.

 

Nachhaltigkeit und Energieersparnis

Um den ohnehin sehr geringen Energieverbrauch des Aufzugs zu unterstützen, hat sich der Architekt für besonders energieeffiziente Aufzugskomponenten entschieden. Insgesamt verbraucht die Anlage 30 % weniger Strom als vergleichbare Aufzüge. Das liegt auch daran, dass das Gewicht der Antriebs- und Tragmittel um 50 % gegenüber herkömmlicher Anlagen mit Stahlseilen reduziert wurde. Der Aufzug fällt in die Nutzungskategorie 3 nach VDU 4707. Einerseits wird er stark genutzt, andererseits hat die Anlage auch längere Stillstandszeiten. Da man beim aquaTurm versucht, so viel Energie wie möglich zu gewinnen, wurde eine Steuerung mit Standby-Schaltung eingebaut. Diese schaltet die Elektronik bei Wartezeiten automatisch ab und spart so wichtige Ressourcen ein. Auch sämtliche Beleuchtungselemente wurden mit LED ausgestattet. Somit repräsentiert diese Anlage die aktuellen Möglichkeiten von energieeffizienter, nachhaltiger Aufzugs­technik und fügt sich so nahtlos ins Konzept des Hochhauses ein.


Gebäude im Passivhausstandard

In die wärmebrückenfreie Gebäudehülle des Turms wurden speziell gefertigte, fünffachverglaste Aluminium-Holz-Fenster mit witterungsgeschütztem Sonnen- und Blendschutz sowie passiver Hinterlüftung gesetzt. Die nötige Wärmeenergie liefert zum einen eine solarthermische Anlage, bestehend aus Vollvakuumröhrenkollektoren mit Sonnenschutzfunktion auf dem Dach, zum anderen wird Geothermie über eine modulierende Warmwasser-Wärmepumpe thermisch genutzt und über einen Wärmetauscher zur Klimatisierung des Gebäudes eingesetzt.

Auch die Technik in den jeweiligen Zimmern und Appartements wurde dahingehend optimiert, dass sie möglichst energiesparend und nachhaltig ist. „Das Dampfbad etwa wird durch Solarenergie beheizt,und die Regendusche verbraucht nur 8 l/min“, erläutert Mitinhaber Norman Räffle. Nicht zuletzt rühmt sich das Hotel, mit 0,7 l/min über die sparsamsten Wasserhähne der Welt zu verfügen.


Persönliches Engagement zeichnet sich aus

Dass der aquaTurm nach acht Jahren Bauzeit zum Erfolg wurde, basiert vor allem auf dem persönlichen Engagement der Familie Räffle. Bereits 2006 beantragte sie eine staatliche Förderung. Ein Jahr später wurde das Konzept ins Umweltdemonstrationsprogramm des Bundesministeriums für Umwelt, der KfW und dem Umweltbundesamt aufgenommen und mit 420.000 € bezuschusst. Der aquaTurm gilt als das weltweit erste Null-Energie-Hochhaus. In einem Monitoring wird das Gebäude in den kommenden drei Jahren wissenschaftlich begleitet und vermessen, um die avisierten energetische Ziele zu dokumentieren sowie den Gebäudebetrieb zu optimieren.

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