Das aktuelle Baurechtsurteil - LV

Lückenhaftes Leistungsverzeichnis

Was die Werkunternehmen als Vertragssoll auszuführen haben, ergibt sich regelmäßig aus dem Leistungsverzeichnis, welches dem Angebot des Werkunternehmens zugrunde liegt. Was aber ist, wenn das Leistungsverzeichnis Lücken aufweist, wenn also nicht im Leistungsverzeichnis aufgeführte Leistungen technisch notwendig sind? Mit einem solchen Fall hat sich das Oberlandesgericht Hamm befasst (Urteil 30. Juni 2014, 17 U 185/12). Es hat ausgeführt, dass das Risiko einer lückenhaften Leistungsbeschreibung der Auftraggeber trage.

Zum Fall

Der Auftragnehmer war beauf­tragt, eine solarunterstützte Hei­zungsanlage zu errichten. Im Zu­ge der Arbeiten stellte sich her­aus, dass zusätzlich Kleinteile eingebaut werden mussten, die im Leistungsverzeichnis des Auftraggebers nicht vorgesehen waren. Für diese beanspruchte der Auftragnehmer eine zusätzliche Vergütung.

Der Auftraggeber stellte sich auf den Standpunkt, dies wäre nicht vereinbart gewesen. Der Auftrag­nehmer vertrat die Ansicht, dass technisch erforderliche Zusatzarbeiten auch vergütet werden müssten.

Zum Urteil

Das Oberlandesgericht Hamm gibt dem Auftragnehmer Recht. Im Ausgangspunkt sei durch Vertragsauslegung zu ermitteln, zu wessen Lasten die Lückenhaftigkeit des ursprünglichen Angebots gehe. Hierbei sei zu unterscheiden zwischen dem vertraglich geschuldeten Erfolg und dem vertraglich vereinbarten Leistungssoll. Das Leistungssoll ergebe sich grundsätzlich aus dem Leistungsverzeichnis, welches dem Angebot zugrunde liege; ausnahmsweise gelte dann etwas anderes, wenn die Parteien das Risiko der Unvollständigkeit auf den Auftragnehmer verlagerten – etwa in den Fällen der Pauschalierung des Preises oder bei funktionaler Leistungsbeschreibung.

Dies war im vorliegenden Fall aber nicht so, weshalb nach Ansicht des Oberlandesgerichts das Risiko der Lückenhaftigkeit des Angebots beim Auftraggeber verbleibt. Deshalb schulde der Auftraggeber für die Kleinteile eine zusätzliche Vergütung, zumal die Bauleistung seinem Interesse und seinem (jedenfalls mutmaßlichen) Willen entspreche.

Praxishinweis

Die Entscheidung zeigt: Werden zur Herstellung des Werks zu­sätz­liche, vom ursprünglichen Leistungssoll nicht erfasste, aber technisch notwendige, Leistungen erbracht, gibt es dafür auch Geld. Dies ist der Grundsatz.

Ausnahme: Wenn die Parteien trotz eines Leistungsverzeichnisses die Leistungen funktional be­schrieben oder pauschaliert haben, können sie dann das Risiko der Unvollständigkeit auf den Auftragnehmer verlagern. Dies kann im Einzelfall schon bei einzelnen Pauschalpositionen sein, die im Leistungsverzeichnis etwa mit „psch“ gekennzeichnet sind. Allerdings kann sich das vertragliche Leistungssoll auch aus anderen Vertragsbestandteilen ergeben (z.B. Pläne); nicht immer ist (nur) das Leistungsverzeichnis maßgeblich. Gibt es Widersprüche zwischen Plänen und Leistungsverzeichnis, ist nicht etwa stets der Plan vorrangig; vielmehr ist durch Auslegung der gesamten Vertragsunterlagen unter Berücksichtigung der Verkehrssitte und Treu und Glauben zu ermitteln, was die Parteien wirklich gewollt haben.

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